1. Der „Stregozzo". Stich aus dem Kreise des Marc Anton. Wien, Albertina
wachsenden und die Heroen, die der Tod vor ihrer Zeit niederwarf. Die Seelen der gewaltsam
Gestorbenen, die „ausgeschlossen von der Wohnung der Schatten nahe an der Erde elend und
jammervoll herumflattern" (Cumont) — die Beschreibung paßt auf den trüben Bärtigen unter
dem Sitz der Triumphierenden, der unsicher über den Gerippen durch die Luft flitzt.
Der Rohstoff ist fast derselbe, wie ihn die deutschen Hexendarstellungen zeigen. Er ist nur
bereichert durch einzelne Vorstellungen, die aus der klassischen Antike kommen. Ist es vielleicht
hier ein ähnliches Verhältnis, wie Huizinga den Gegensatz vom nordischen Herbst des Mittel-
alters zur italienischen Frührenaissance an Karl dem Kühnen und einem italienischen virtuoso
in einem Unterschied an Belesenheit und Geschmack erkennt? „Karl las seine Klassiker noch
in Ubersetzungen und seine Lebensform ist noch flamboyant gotisch."1 Ich glaube nicht. Die
klassische Literatur, wie sie etwa Rohde für die Aoroi und Biaiothanatoi in Hekates Schwärm
anführt, war dem Erfinder des Stiches wohl noch verschlossen. Aber Italien hatte wie das
nordische Spätmittelalter aus seiner Vergangenheit eine abergläubische Gespensterwelt mit
heraufgeführt. Sie fand neben der literarisch fixierten, eindeutig erhellten Welt der Antike
und der in langen Jahrhunderten strenggebundenen christlichen nur höchst selten Eingang
in die Kunst. Hat darum auch keine eigene Gestaltungsform, bedient sich der herrschenden.
Der Zug der Nachtmahr muß zum trionfo werden; dunkel im Blut des Volkes treibende, im
Halbschlaf lebendige Kräfte drücken sich in die plastischen Stückformen michelangelesker
Bewegungsposen ein und der Alp des Schreckgespenstes in einen klassischen Marmortyp. Aber
die Geistersphäre ist uns fremd in solch präziser Übersicht; in den unklaren Überschneidungen
und Überraschungen eines Baldungschen Impromptu leuchtet sie augenblicklich ein, nur un-
gebändigt durch formale Gesetzlichkeit kennen wir das Folklore.
Mantegnas vornehmer Ephebe — ,,to ergon tou Andreou" — in seinem Lapidarium antiker
Fragmente steht vor uns; in den Wolken links oben ein Reiter! Nach Kristeller vielleicht der
Gotenkönig Theodorich als ein Symbol des die Christen verfolgenden Heidentums, nach dem
Vorbild eines romanischen Reliefs der Fassade von San Zeno. Theodorich — aber oben in
den Wolken! Theodorich also, der an der Spitze des Wilden Heeres daherstürmt!
1 J. Huizinga, Herbst des Mittelalters. München 1924, S. 88.
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wachsenden und die Heroen, die der Tod vor ihrer Zeit niederwarf. Die Seelen der gewaltsam
Gestorbenen, die „ausgeschlossen von der Wohnung der Schatten nahe an der Erde elend und
jammervoll herumflattern" (Cumont) — die Beschreibung paßt auf den trüben Bärtigen unter
dem Sitz der Triumphierenden, der unsicher über den Gerippen durch die Luft flitzt.
Der Rohstoff ist fast derselbe, wie ihn die deutschen Hexendarstellungen zeigen. Er ist nur
bereichert durch einzelne Vorstellungen, die aus der klassischen Antike kommen. Ist es vielleicht
hier ein ähnliches Verhältnis, wie Huizinga den Gegensatz vom nordischen Herbst des Mittel-
alters zur italienischen Frührenaissance an Karl dem Kühnen und einem italienischen virtuoso
in einem Unterschied an Belesenheit und Geschmack erkennt? „Karl las seine Klassiker noch
in Ubersetzungen und seine Lebensform ist noch flamboyant gotisch."1 Ich glaube nicht. Die
klassische Literatur, wie sie etwa Rohde für die Aoroi und Biaiothanatoi in Hekates Schwärm
anführt, war dem Erfinder des Stiches wohl noch verschlossen. Aber Italien hatte wie das
nordische Spätmittelalter aus seiner Vergangenheit eine abergläubische Gespensterwelt mit
heraufgeführt. Sie fand neben der literarisch fixierten, eindeutig erhellten Welt der Antike
und der in langen Jahrhunderten strenggebundenen christlichen nur höchst selten Eingang
in die Kunst. Hat darum auch keine eigene Gestaltungsform, bedient sich der herrschenden.
Der Zug der Nachtmahr muß zum trionfo werden; dunkel im Blut des Volkes treibende, im
Halbschlaf lebendige Kräfte drücken sich in die plastischen Stückformen michelangelesker
Bewegungsposen ein und der Alp des Schreckgespenstes in einen klassischen Marmortyp. Aber
die Geistersphäre ist uns fremd in solch präziser Übersicht; in den unklaren Überschneidungen
und Überraschungen eines Baldungschen Impromptu leuchtet sie augenblicklich ein, nur un-
gebändigt durch formale Gesetzlichkeit kennen wir das Folklore.
Mantegnas vornehmer Ephebe — ,,to ergon tou Andreou" — in seinem Lapidarium antiker
Fragmente steht vor uns; in den Wolken links oben ein Reiter! Nach Kristeller vielleicht der
Gotenkönig Theodorich als ein Symbol des die Christen verfolgenden Heidentums, nach dem
Vorbild eines romanischen Reliefs der Fassade von San Zeno. Theodorich — aber oben in
den Wolken! Theodorich also, der an der Spitze des Wilden Heeres daherstürmt!
1 J. Huizinga, Herbst des Mittelalters. München 1924, S. 88.
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