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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 2): Die germanischen und slawischen Länder: West-, Mittel-, Ost- und Norddeutschland, England, Irland, Schweden,Norwegen, Dänemark, Russland, Polen, Litauen — Leipzig, 1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.13168#0031

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ist wahrscheinlich das des Jost van Kenß, der gleichfalls später nach Frankenthal über-
siedelt, wo ihm 1625 eine Tochter geboren wird.

Weitere urkundliche Nachrichten habe ich nicht ermitteln können. Der 1744 in pfalz-
gräflichem Dienste tätige Sohn des in Kopenhagen arbeitenden Wirkers Francois Leger
dürfte sich wohl lediglich mit Instandsetzungsarbeiten befaßt haben. Die in der zweiten
Hälfte des 18. Jahrhunderts blühende „Fabrique" des Stephan Boßmann und seines Nach-
folgers Peter Jesse — ausführlich in dem im General-Landesarchiv Karlsruhe „Heidelberg-
Stadt" lagernden Fasz. 826 behandelt, 1928 von Dr. Kreisel veröffentlicht — beschäftigt
sich nur mit Savonnerie-Arbeiten79). Der Bericht Widders — „besteht (um 1785) allda (in
Heidelberg) mit gutem Erfolg eine Tapetenwirkerei von sogenannter Haute-Lice"80) — be-
ruht entweder auf einem leichtverzeihlichen technischen Irrtum — ich habe in den Boß-
mann-Jesseschen Akten keinen Beleg gefunden, der sich auf hochlitzige Wirkerei be-
zieht —, oder er betrifft ein noch unbekanntes Unternehmen, eine Annahme, die wenig
Wahrscheinlichkeit hat.

b) Erhaltene Arbeiten.

Die Blütezeit der Heidelberger Wirkereibetriebe, die sicherlich weit mehr Meister zählte
als die urkundlichen Berichte annehmen lassen, liegt in der Hauptsache in der Zeit von
etwa 1560—1620. Die engen Beziehungen zu Frankenthal legen natürlich die Vermutung
nahe, daß die Erzeugnisse der beiden Wirkereizentren sich stark ähnelten, d. h. in erster
Linie von Brüssel und Oudenaarde beeinflußt waren — kein Wunder bei der ständigen Zu-
wanderung niederländischer Wirker —, sie sind in der Güte bei dem ganz verschieden ge-
schulten Wirkerstamm ungleichwertig; in der letzten Spanne der Produktion tritt eine Ent-
fremdung, ein Loslösen von Flandern und Brabant ein, zugleich eine Vergröberung und
Verbauerung. Umfangreiche Bildteppiche mit starken Höhenabmessungen wird Heidel-
berg ebensowenig wie Frankenthal gepflegt haben; die gängige Ware waren die niedrigen
langen Rücklaken über den Paneelen oder den Truhenreihen der Sitze des Landadels. Wer
die Renaissancehöfe und -Schlösser um Heidelberg, in der Bergstraße und am Neckar kennt,
weiß, daß eine Prunkentfaltung im niederländischen Sinne schon der Höhe der Räume hal-
ber mehr oder minder schwierig war.

Unter den wenigen signierten Behängen des beginnenden 17. Jahrhunderts finden sich
zwei Stücke im Besitze der Berliner Kunsthandlung Margraf & Cie., die zwar keine Stadt-
wohl aber eine Meistermarke auf der breiten rechten Lisiere tragen: ein aus I. v. K. zusam-
mengestelltes Monogramm, das aller Wahrscheinlichkeit nach auf Jost van Kenß zu deuten
ist. Zur Darstellung gelangt die Geschichte des Orpheus. In dem kürzeren Behang (Abb. 16a,
H. 0,55 m, L. 1,30 m) sitzt der Sänger, von andächtig lauschenden wilden Tieren umlagert,
harfeschlagend unter einem Baum. Im Hintergrunde türmen sich waldige Berge, in der
typischen, etwas unruhigen Zeichnung der Brüssel-Antwerpener Patronenmalerschule um
1610. Frauen schmücken sich mit Blumengewinden. Das reizvolle und trotz der Kleinheit
des Behanges technisch gut durchgeführte Mittelbild zeigt frische harmonische Farben, es
wird seitlich von einem pergolaähnlichen Gebilde mit eingestellten Blumenvasen gerahmt.
Die obere Bordüre — die untere ist nicht mehr vorhanden — bringt in der Mitte, wenig
logisch, ein giebelähnliches Gebilde, flankiert von archaisierenden Ranken, verbrämt mit
Halbfiguren. Der seitliche Abschluß beschränkt sich auf ein Löwenmaskaron mit ange-
hängtem Frucht-Blumen-Band-Gehänge. Die Mischung von Formen aus verschiedenen
Jahrzehnten — Mittelbild, etwa 1610, Pergola mit Vase, etwa 1580, Seitenbordüre, etwa
1570 — findet seine einfache Begründung in der Verwendung älterer und jüngerer Karton-
vorlagen, die, so gut es ging, dem Zeitgeschmack angepaßt wurden. Der zweite, größere

3 Göbel, Wandteppiche III, 2.

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