3. Erfurt, Gotha, Saalfeld.
Mit den Wirkereiateliers in Torgau, Weimar, Leipzig und Dresden ist die Zahl der von
Niederländern in Sachsen und Thüringen betriebenen Werkstätten keinesfalls erschöpft. Es
besteht kaum ein Zweifel, daß in der reichen Handelsmetropole Erfurt Wirker tätig waren,
wenn es mir bislang auch nicht gelungen ist, die Namen der Meister nachzuweisen.
Im südlichen Seitenschiff des Erfurter Domes hängt ein Brüsseler Wandteppich (Beginn
des 16. Jahrhunderts) — Geburt Christi —, an der Westwand des Langhauses eine deutsche
Wirkerei um 155070) (H. 2,00 m, L. 2,00 m): Mütter bringen dem Heiland ihre Kinder dar.
Die Rollwerkskartusche kündet (in großen lateinischen Lettern): Matthaei XIX. Lasset die
Kindlein tzu mir komen und wehret in nicht den solcher ist das Himelreich. Die Bordüre
lehnt sich dem bekannten Brüsseler Typ an — Blumengewinde, musizierende Frauen —;
die Wappen entziehen sich bislang der Deutung. Zeichnung und Technik weisen unbedingt
auf den wandernden Niederländer, der wahrscheinlich in Erfurt vorübergehend seine Ge-
zeuge aufschlug.
Leider sind uns aus dem Besitze des Ursulinenklosters wohl wertvolle Stickereien, aber
keine Bildteppiche des 16. Jahrhunderts überkommen. Die noch jetzt vorhandenen kirch-
lichen Kleinwirkereien aus der zweiten Hälfte des 17. und aus dem 18. Säkulum beweisen
schon in ihrer primitiven Technik, daß sie sicherlich von Klosterfrauen — voraussichtlich
in Erfurt — gefertigt worden sind:
1. Brustbild der heiligen Ursula. 1675.
2. Letztes Abendmahl im Längsoval in bunten Farben, in den Zwickeln Blumen auf
schwarzem Grund. Um 1680.
3. In der Mitte das Jesuskind, links Joseph mit der Traube, rechts Maria. Um 1680.
4. Rankenwerk in der Art Berains, in der Mitte eine Frau. Um 1710.
In den Farben wesentlich greller — scharfes Blau, Rot, Gelb — gibt sich der Apostel-
behang im Herzoglichen Museum zu Gotha (Abb. 49 a) mit den Wappen des Gothaer Patri-
ziers Hermann Breithaupt (geb. um 1590)71) und seiner Gemahlin Dorothea von Gräfendorf.
In der Mitte der Darstellung steht Christus in der Glorie, die Apostel lauschen — rechts und
links — den Worten der Sendung. Entsprechend erläutert die Schrifttafel zu Häupten des
MIR IST GEGEBEN ALLE GEWALT IM HIMMEL VND
AVFF ERDEN • DARVMB GEHET HIN VND
LEHRET ALLE VOELCKER • MATTH • X • 8 •
In der rechten unteren Ecke erscheint als Entstehungsnachweis die Inschrift:
DISER • TEPPICH • GEHERET
ALHIER • IN • GOTA • ZVM ■
AVGVSTINERN : 1610 :
Augenscheinlich handelt es sich um eine fromme Gabe des Paares gelegentlich ihrer Ehe-
schließung. Die Zeichnung ist hart, der Typ der Köpfe — mit Ausnahme des Apostels ganz
rechts — ungeschickt und ohne Ausdruck. Die Technik läßt bereits eine Verwilderung des
flämisch-brabantischen Verfahrens erkennen.
Die Familie derer von Gräfendorf (Grevendorf) scheint eine starke Vorliebe für Bild-
wirkereien besessen zu haben. Ein zweiter Gräfendorf-Behang befindet sich in der St.-Jo-
hannis-Kirche zu Saalfeld (Abb. 50, H. 4 m, Br. 1,40 m). Das Stifterpaar — Wendel von
Grevendorff zu Solzdorf und seine Gattin Margreta von Grevendorff, geborene von Dhinsted
— erscheint zwischen zwei riesigen Säulen, deren Marmortechnik an die Bombeckschen Be-
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Mit den Wirkereiateliers in Torgau, Weimar, Leipzig und Dresden ist die Zahl der von
Niederländern in Sachsen und Thüringen betriebenen Werkstätten keinesfalls erschöpft. Es
besteht kaum ein Zweifel, daß in der reichen Handelsmetropole Erfurt Wirker tätig waren,
wenn es mir bislang auch nicht gelungen ist, die Namen der Meister nachzuweisen.
Im südlichen Seitenschiff des Erfurter Domes hängt ein Brüsseler Wandteppich (Beginn
des 16. Jahrhunderts) — Geburt Christi —, an der Westwand des Langhauses eine deutsche
Wirkerei um 155070) (H. 2,00 m, L. 2,00 m): Mütter bringen dem Heiland ihre Kinder dar.
Die Rollwerkskartusche kündet (in großen lateinischen Lettern): Matthaei XIX. Lasset die
Kindlein tzu mir komen und wehret in nicht den solcher ist das Himelreich. Die Bordüre
lehnt sich dem bekannten Brüsseler Typ an — Blumengewinde, musizierende Frauen —;
die Wappen entziehen sich bislang der Deutung. Zeichnung und Technik weisen unbedingt
auf den wandernden Niederländer, der wahrscheinlich in Erfurt vorübergehend seine Ge-
zeuge aufschlug.
Leider sind uns aus dem Besitze des Ursulinenklosters wohl wertvolle Stickereien, aber
keine Bildteppiche des 16. Jahrhunderts überkommen. Die noch jetzt vorhandenen kirch-
lichen Kleinwirkereien aus der zweiten Hälfte des 17. und aus dem 18. Säkulum beweisen
schon in ihrer primitiven Technik, daß sie sicherlich von Klosterfrauen — voraussichtlich
in Erfurt — gefertigt worden sind:
1. Brustbild der heiligen Ursula. 1675.
2. Letztes Abendmahl im Längsoval in bunten Farben, in den Zwickeln Blumen auf
schwarzem Grund. Um 1680.
3. In der Mitte das Jesuskind, links Joseph mit der Traube, rechts Maria. Um 1680.
4. Rankenwerk in der Art Berains, in der Mitte eine Frau. Um 1710.
In den Farben wesentlich greller — scharfes Blau, Rot, Gelb — gibt sich der Apostel-
behang im Herzoglichen Museum zu Gotha (Abb. 49 a) mit den Wappen des Gothaer Patri-
ziers Hermann Breithaupt (geb. um 1590)71) und seiner Gemahlin Dorothea von Gräfendorf.
In der Mitte der Darstellung steht Christus in der Glorie, die Apostel lauschen — rechts und
links — den Worten der Sendung. Entsprechend erläutert die Schrifttafel zu Häupten des
MIR IST GEGEBEN ALLE GEWALT IM HIMMEL VND
AVFF ERDEN • DARVMB GEHET HIN VND
LEHRET ALLE VOELCKER • MATTH • X • 8 •
In der rechten unteren Ecke erscheint als Entstehungsnachweis die Inschrift:
DISER • TEPPICH • GEHERET
ALHIER • IN • GOTA • ZVM ■
AVGVSTINERN : 1610 :
Augenscheinlich handelt es sich um eine fromme Gabe des Paares gelegentlich ihrer Ehe-
schließung. Die Zeichnung ist hart, der Typ der Köpfe — mit Ausnahme des Apostels ganz
rechts — ungeschickt und ohne Ausdruck. Die Technik läßt bereits eine Verwilderung des
flämisch-brabantischen Verfahrens erkennen.
Die Familie derer von Gräfendorf (Grevendorf) scheint eine starke Vorliebe für Bild-
wirkereien besessen zu haben. Ein zweiter Gräfendorf-Behang befindet sich in der St.-Jo-
hannis-Kirche zu Saalfeld (Abb. 50, H. 4 m, Br. 1,40 m). Das Stifterpaar — Wendel von
Grevendorff zu Solzdorf und seine Gattin Margreta von Grevendorff, geborene von Dhinsted
— erscheint zwischen zwei riesigen Säulen, deren Marmortechnik an die Bombeckschen Be-
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