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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 2): Die germanischen und slawischen Länder: West-, Mittel-, Ost- und Norddeutschland, England, Irland, Schweden,Norwegen, Dänemark, Russland, Polen, Litauen — Leipzig, 1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.13168#0081
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Erfurt. Gotha, Saalfeld

hänge erinnert. Die Zeichnung der beiden Gestalten ist ausgesprochen porträtähnlich und
wahrscheinlich nach Ölgemälden kopiert. Im Hintergrunde vollzieht sich die Himmelfahrt
Christi. Die Figuren gehen in ihrer Ausdruckslosigkeit mit den Aposteln des Gothaer Tep-
pichs zusammen. Die Abstammung aus dem gleichen Atelier wird durch die, beiden Be-
hängen gemeinsame Eierstabbordüre unterstrichen. Wie in dem Breithauptteppich, erläutert
eine Schrifttafel, gewissermaßen als Architrav, das Motiv (in großen lateinischen Buch-
staben) : Das ist mein lieber Son an welchem ich ein Wolgefallen habe, den solt ir hören.
Matthei XVII.

Unter dem knienden Paare erscheinen die Elternwappen und eine ungewöhnlich umfang-
reiche Schrifttafel (wiederum in großen lateinischen Lettern):

Anno 1574 den 1. Aprilis ist der gestrenge edel und ernvest Wendel von Grevendorff zu
Solzdorf alhier zu Salfelt in Gott selig verschieden.
Anno . . . den ... ist

die edel und vielerntugentsame Frau Margreta von Grevendorff geborne von Dhinsted
Witwe zu Salfelt in Gott selig entschlaffen.

Hiob XIX. Aber ich weis das mein Erlöser lebet und ehr wird mich her nach aus der Er-
den aufwecken und werde darnach mit dieser meiner Haut umbgeben werden und werde
in meinem Fleisch Gott sehen, denselben werde ich nur sehen und meine Augen werden
ihn schauen und kein Frembder72).

Als Signatur flankieren in der Wirkerkante die Buchstaben H und G ein rot und weiß ge-
teiltes Schildchen. Bezieht sich H und G auf den Wirkernamen oder den Stadtheiligen zu
Gotha St. G(oth) H(ardus)? Entweder in Gotha oder in Saalfeld, vielleicht in beiden Städ-
ten, muß die Werkstatt ihren Sitz gehabt haben. Die Witwe des gestrengen Herrn Wendel
von Grevendorff scheint keine pietätvollen Nachkommen hinterlassen zu haben, die nach-
träglich ihr Sterbedatum einwirken ließen. Der Teppich ist als Erinnerungsstück etwa um
1590 entstanden. Ich habe vergebens das Thüringer Landesarchiv zu Gotha durchforscht.
Es sind zwar zahlreiche Inventare73) vorhanden, die interessante Aufschlüsse über die Er-
werbungen des Fürstenhauses bei Amsterdamer Wirkern und Händlern übermitteln, ein
einheimisches Atelier habe ich bislang nicht feststellen können — letzten Endes eine Frage
der Geduld und des Zufalls!

Auf eine Thüringer Manufaktur um 1620 geht der Behang mit den fünf klugen und den
fünf törichten Jungfrauen aus der Kirche in Wernsdorf74) zurück (Abb. 49 b). Die Bild-
darstellung ist durch eine Säule in zwei Episoden aufgeteilt. Links empfängt Christus an
dem Portal eines Palastes die fünf klugen Jungfrauen. Im Hintergrund (links) ragt ein
kapellenartiger Bau mit den Sinnbildern der Gerechtigkeit und Vergänglichkeit (Wage und
Urne). Der Sternenhimmel steht malerisch gegen Baumschlag und Architektur. Rechts
spielt sich die Handlung bei Tageshelle ab. Die fünf törichten Jungfrauen bewegen sich
als verzweifelte Gruppe vor dem geschlossenen Tor mit dem Symbol des Gotteslammes.
Die Bordüre beschränkt sich auf einen durch Rosetten gegliederten Blattstab. Die Farben
— vornehmlich Blau, Rot, Weiß, Grau — sind stellenweise stark abgeblaßt. Der Behang ist
vielfach geflickt. Die Wiedergabe der Flora, die Erfassung der Gewänder und Architektur-
teile, läßt auf einen wandernden Wirker mit Brüsseler oder holländischer Schulung schlie-
ßen. Über den Ort der Manufaktur sind kaum Vermutungen berechtigt (ob Eisenach?).
Der große Rudolstädter Wappenteppich von 1621 in Schloß Sonderhausen (wilde Männer
und Engel) fand bereits Erwähnung. Ein Gegenstück befindet sich angeblich auf Schloß
Willigrad75). Leider ist als Folgeerscheinung des politischen Umschwunges von 1918 eine
starke wirtschaftliche Verschiebung in den Besitzverhältnissen der thüringischen Fürsten-
häuser eingetreten. Viele Wirkereien haben ihren Ort gewechselt oder sind in mir unbe-
kannte Hände abgewandert76).

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