Lüneburg
ähnlich wie soviele Behänge des hannoverschen Hauses und Landes — gelegentlich der Be-
setzung durch die französischen Truppen abwanderte: Die Farbengebung ist lebhaft, bis-
weilen bunt, gelbe und braune Töne herrschen vor. Der Entwurf stammt von einem einhei-
mischen Meister, der sich in erster Linie an die Tobias-Holzschnittfolge des Martin von
Heemskerk (6 Blätter), vielleicht auch an die Vorzeichnungen des Meisters für eine Tobias-
stichfolge — 1556 bei H. Cock erschienen — hielt38). Einzelne Szenen sind ziemlich wort-
getreu entlehnt worden. Im übrigen hat der Kartonzeichner nicht immer Rücksicht
auf die Basselissetechnik seines Wirkers genommen. Die zweite Episode — Abschied des
jungen Tobias — erscheint im Spiegelbild; sämtliche Personen sind Linkshänder, das
gleiche gilt für weitere Szenen. Die Technik ist ausgesprochen niederländisch; in Sonderheit
dürfte ein aus der Oudenaarder Gegend nach Lüneburg eingewanderter Wirker in Frage
kommen.
Bedingt schließt sich ein fragmentierter Behang an mit Episoden aus der Parabel vom
verlorenen Sohn — vier durch Säulchen getrennte Szenen — Aushändigung des Erbes, Aus-
treibung, Schweinehirt, Rückkehr —, ehedem in Schloß Karnitz (Pommern), jetzt in Ber-
liner Besitz (Abb. 79, H. 1,00 m, L. 0,62 m+1,13 m+0,60 m). Die Gesamtanordnung ent-
spricht der des Tobias-Rücklakens, den Trachten nach zu urteilen, dürfte der Behang um
1555 entstanden sein.
Niederdeutschen Ursprungs, aber mit der Masinissageschichte und den Fragmenten vom
„verlorenen Sohn" nicht unmittelbar verwandt, ist eine „Steinigung des heiligen Stephanus"
— links Gott-Vater in den Wolken, im Hintergrunde eine vieltürmige Stadt —, in einer Bor-
düre mit aufgelegten Blumenzweigen auf dunklem Grund (H. 1,10 m, L. 2,03 m). Das
Wappenschild hinter dem Märtyrer zeigt einen roten Flügel auf blauem Grund. Die Tech-
nik des Behanges aus der ehem. Sammlung Jacques Mühsam (Berlin, R. Lepke, 30. Novem-
ber bis 1. Dezember 1926, Nr. 289) ist ziemlich hart, der Einfluß Tournais noch deutlich er-
kennbar. Die Entstehung dürfte um 1545 anzusetzen sein.
Das bedeutendste Rücklaken, das neben den bereits besprochenen ornamental-heraldi-
schen Wirkereien das Lüneburger Rathaus noch bewahrt, ist die Geschichte des Masinissa
in acht Bildern (Abb. 80, H. 0,83 m, L. 8,15 m, 5 Kettfäden auf einen Zentimeter), jedes
durch eine Spruchtafel in Lüneburger Mundart glossiert, durch die Stadtwappen links und
rechts als alter städtischer Besitz charakterisiert. Die Episoden der Antike rollen sich in den
zeitgenössischen Trachten um 1580 ab. Schmale Blattrankenbordüren fassen den Behang;
das Kettfach ist, in Gestalt langer Strähnen, nach unten verlängert. Die Farbengebung ist
trüb und schwer. Nicht leicht ist die Frage zu entscheiden, ob es sich — trotz der deutschen
Legenden — um eine Lüneburger oder um eine Arbeit aus den westlichen Wirkerzentren
handelt. H. Schmitz37) erblickt in dem Teppich eine mittelfranzösische Arbeit „aus der
Marche, wie sie häufig in Deutschland bestellt wurden". Von Aufträgen in Deutschland
ist, soweit das 16. Jahrhundert in Frage kommt, mir kein urkundlicher Beleg bekannt. Die
Manufakturen von Aubusson und Felletin liefern im 17. Jahrhundert sporadisch ins Aus-
land, im 18. Säkulum ist der Export, speziell von Aubusson nach Deutschland — in erster
Linie der Billigkeit der Erzeugnisse halber — recht bedeutend. Technisch und stilistisch be-
steht zudem keinerlei Zusammenhang des Masinissa-Behanges mit den Renaissancearbeiten
der Marche, die in ihrer Mosaik-Hachurentechnik nach einem ganz anderen Grundsatze
arbeiten und ungleich gröber sind. Die Gegenüberstellung des Lüneburger Teppichs mit der
französischen Heldenserie38) dürfte weitere Erörterungen überflüssig erscheinen lassen. Als
wesentlichen Kern hat H. Schmitz die Tatsache erkannt, daß die Masinissa-Geschichte nicht
mehr das ausgesprochene Gepräge von Tournai oder Oudenaarde trägt, sondern das der
Grenzateliers Flandern und Frankreichs, Werkstätten, die unter dem Sammelnamen „Tour-
aine" gehen, deren Zentren vorerst nicht klar zu erfassen sind, die im großen und ganzen
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ähnlich wie soviele Behänge des hannoverschen Hauses und Landes — gelegentlich der Be-
setzung durch die französischen Truppen abwanderte: Die Farbengebung ist lebhaft, bis-
weilen bunt, gelbe und braune Töne herrschen vor. Der Entwurf stammt von einem einhei-
mischen Meister, der sich in erster Linie an die Tobias-Holzschnittfolge des Martin von
Heemskerk (6 Blätter), vielleicht auch an die Vorzeichnungen des Meisters für eine Tobias-
stichfolge — 1556 bei H. Cock erschienen — hielt38). Einzelne Szenen sind ziemlich wort-
getreu entlehnt worden. Im übrigen hat der Kartonzeichner nicht immer Rücksicht
auf die Basselissetechnik seines Wirkers genommen. Die zweite Episode — Abschied des
jungen Tobias — erscheint im Spiegelbild; sämtliche Personen sind Linkshänder, das
gleiche gilt für weitere Szenen. Die Technik ist ausgesprochen niederländisch; in Sonderheit
dürfte ein aus der Oudenaarder Gegend nach Lüneburg eingewanderter Wirker in Frage
kommen.
Bedingt schließt sich ein fragmentierter Behang an mit Episoden aus der Parabel vom
verlorenen Sohn — vier durch Säulchen getrennte Szenen — Aushändigung des Erbes, Aus-
treibung, Schweinehirt, Rückkehr —, ehedem in Schloß Karnitz (Pommern), jetzt in Ber-
liner Besitz (Abb. 79, H. 1,00 m, L. 0,62 m+1,13 m+0,60 m). Die Gesamtanordnung ent-
spricht der des Tobias-Rücklakens, den Trachten nach zu urteilen, dürfte der Behang um
1555 entstanden sein.
Niederdeutschen Ursprungs, aber mit der Masinissageschichte und den Fragmenten vom
„verlorenen Sohn" nicht unmittelbar verwandt, ist eine „Steinigung des heiligen Stephanus"
— links Gott-Vater in den Wolken, im Hintergrunde eine vieltürmige Stadt —, in einer Bor-
düre mit aufgelegten Blumenzweigen auf dunklem Grund (H. 1,10 m, L. 2,03 m). Das
Wappenschild hinter dem Märtyrer zeigt einen roten Flügel auf blauem Grund. Die Tech-
nik des Behanges aus der ehem. Sammlung Jacques Mühsam (Berlin, R. Lepke, 30. Novem-
ber bis 1. Dezember 1926, Nr. 289) ist ziemlich hart, der Einfluß Tournais noch deutlich er-
kennbar. Die Entstehung dürfte um 1545 anzusetzen sein.
Das bedeutendste Rücklaken, das neben den bereits besprochenen ornamental-heraldi-
schen Wirkereien das Lüneburger Rathaus noch bewahrt, ist die Geschichte des Masinissa
in acht Bildern (Abb. 80, H. 0,83 m, L. 8,15 m, 5 Kettfäden auf einen Zentimeter), jedes
durch eine Spruchtafel in Lüneburger Mundart glossiert, durch die Stadtwappen links und
rechts als alter städtischer Besitz charakterisiert. Die Episoden der Antike rollen sich in den
zeitgenössischen Trachten um 1580 ab. Schmale Blattrankenbordüren fassen den Behang;
das Kettfach ist, in Gestalt langer Strähnen, nach unten verlängert. Die Farbengebung ist
trüb und schwer. Nicht leicht ist die Frage zu entscheiden, ob es sich — trotz der deutschen
Legenden — um eine Lüneburger oder um eine Arbeit aus den westlichen Wirkerzentren
handelt. H. Schmitz37) erblickt in dem Teppich eine mittelfranzösische Arbeit „aus der
Marche, wie sie häufig in Deutschland bestellt wurden". Von Aufträgen in Deutschland
ist, soweit das 16. Jahrhundert in Frage kommt, mir kein urkundlicher Beleg bekannt. Die
Manufakturen von Aubusson und Felletin liefern im 17. Jahrhundert sporadisch ins Aus-
land, im 18. Säkulum ist der Export, speziell von Aubusson nach Deutschland — in erster
Linie der Billigkeit der Erzeugnisse halber — recht bedeutend. Technisch und stilistisch be-
steht zudem keinerlei Zusammenhang des Masinissa-Behanges mit den Renaissancearbeiten
der Marche, die in ihrer Mosaik-Hachurentechnik nach einem ganz anderen Grundsatze
arbeiten und ungleich gröber sind. Die Gegenüberstellung des Lüneburger Teppichs mit der
französischen Heldenserie38) dürfte weitere Erörterungen überflüssig erscheinen lassen. Als
wesentlichen Kern hat H. Schmitz die Tatsache erkannt, daß die Masinissa-Geschichte nicht
mehr das ausgesprochene Gepräge von Tournai oder Oudenaarde trägt, sondern das der
Grenzateliers Flandern und Frankreichs, Werkstätten, die unter dem Sammelnamen „Tour-
aine" gehen, deren Zentren vorerst nicht klar zu erfassen sind, die im großen und ganzen
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