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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 2): Die germanischen und slawischen Länder: West-, Mittel-, Ost- und Norddeutschland, England, Irland, Schweden,Norwegen, Dänemark, Russland, Polen, Litauen — Leipzig, 1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.13168#0122

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Lüneburg

charakteristischen Brüsseler Frucht-Blumen-Hohlkehlenbordüre steht in eigenartigem Ge-
gensatz zu den Innenbildern. Dem bekannten flämisch-brabantischen Karton-Trick ver-
dankt der die Hauptszene in zwei Episoden trennende umrankte Baumstamm seine Ent-
stehung.

Der Josephsbehang leitet in der Art der Aufteilung über zu einem neuen charakteristi-
schen Typ. Bevorzugen die mecklenburgischen Manufakturen den Zwei- und Drei-Streifen-
Behang, so wählt Lüneburg eine Anordnung, die die Hauptszene dem oberen größeren Teil
des Teppichs vorbehält und das untere Drittel in zwei kleinere Episoden gliedert. Als typi-
scher Vertreter erscheint zunächst das Urteil Salomonis mit den Wappen des Lünebur-
ger Sülfmeisters und Ratsherrn Hieronymus v. Gloede (v. Gloeden, gest. 8. April 1569) und
seiner Gattin Katharina (geb. v. Brömbsen aus Lübecker Patriziergeschlecht, gest. 25. Juni
1590)41 a). Der Behang (Abb. 82b, H. 3,25 m, L. 2,30 m), ehedem auf Schloß Karnitz (Pom-
mern), jetzt in Hamburger Privatbesitz, bevorzugt rote, blaue, grüne, gelbe, braune und
graue Töne. Die niederländische Formensprache macht sich noch stark in der Figuren-
gruppe und in den der Bordüre eingefügten Gestalten (Moses, Justitia, Ceres) geltend.

Auf die gleiche oder eine nah verwandte Werkstatt geht ein Behang der Abrahamsge-
schichte — oben „Scheiden Hagars", unten die „Opferung Isaaks", „Abraham und der
Engel" — im Kaiser-Friedrich-Museum zu Magdeburg (Abb. 83a) zurück. Eine Wieder-
holung eignet einer Hamburger Sammlung (ehedem auf Schloß Karnitz). Als weitere
typische Vertreter der Lüneburger Zwei-Streifen-Gruppe mit unterer Teilung erscheinen:
Josephs Abschied (unten des Knaben Verkauf durch die neidischen Brüder, die unwahre
Todesmeldung) in Berliner Privatbesitz (Abb. 83b, H. 3,00 m, L. 2,00 m), ferner ein David -
Abigail-Behang (H. 2,90 m, L. 2,75 m) mit den beiden unteren Begleitszenen. Die Farben-
gebung (vornehmlich Blau, Grün, Gelbbraun) ist gegenüber dem lebhaften Salomo-Urteil
wesentlich gedämpfter.

Als Ausläufer der Richtung erscheint ein metalldurchwirkter Liebesgarten im Kunst-
gewerbemuseum der Stadt Flensburg. Der Behang (Abb. 84a, H. 3,00 m, L. 2,00 m) stammt
aus Hadersleben. Das Gefüge ist grob (etwa 4 Kettfäden auf 1 cm, leinene Kette). Die her-
vorstechendsten Farben sind Ziegelrot und Gelbgrün; Weiß wird durch Leinengarn wieder-

A S D

gegeben. Im oberen Schild erscheinen die Zeichen ^ ^ ^ ^. Die Verwandtschaft mit den

vorbesprochenen älteren Behängen ist unschwer erkennbar, nicht minder aber auch der
Abwandlungsprozeß, der sich inzwischen vollzogen hat. Die Gruppen sind lockerer gewor-
den. Das Prinzip der Hintergrundlösung ist zwar noch dasselbe, jedoch ungleich vergrö-
bert. Noch stärker macht sich die Verplattung ins Bäuerliche in den drei kleinen unteren
Szenen bemerkbar. Die zarten Hügel haben sich zu groben geschwungenen Schraffenlinien
gewandelt. Das feste Gefüge der Frucht-Blumen-Bordüre hat sich stark gelockert. Die
Technik ist gröber, zugleich flüchtiger. Karin Mellbye spricht die Arbeit als Erzeugnis einer
schleswig-holsteinischen Manufaktur an41b).

Eine Sonderstellung verlangt der Karitasteppich (Abb. 84 b, H. 1,48 m, L. 1,25 m) im
Kestnermuseum (Hannover) mit den eingewirkten Wappen der Lüneburger Familie Schrö-
der. Der Behang zeigt Oudenaarder Gepräge mit Brüsseler Einschlag, weniger im Karton
als in der Technik. Schon die Zeit der Entstehung — um 1600 — läßt es möglich erschei-
nen, daß es sich um Importgut handelt, zumal in dem Zeitabschnitt West- und Nord-
deutschland mit Oudenaarder Erzeugnissen überschwemmt wurden. Im übrigen ist auch die
Hamburger Provenienz nicht ausgeschlossen. Wie vorsichtig die Zuschreibung zu behan-
deln ist, beweist ein bislang Lüneburg überwiesenes Stück. Der in mitunter rosafarbenen
Tönen sich abspielende Kampf phantastischer Tiere im Schlesischen Museum für Kunst-
gewerbe und Altertümer, der nur wenig an die Erzeugnisse der Niederlande erinnert, schei-

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