Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 2): Die germanischen und slawischen Länder: West-, Mittel-, Ost- und Norddeutschland, England, Irland, Schweden,Norwegen, Dänemark, Russland, Polen, Litauen — Leipzig, 1934

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13168#0135

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Hamburg. Altona. Stade. Schleswig-Holstein

c) Kissenwirkereien

Nun zu der großen Masse der Kissen, die sich verhältnismäßig zahlreich in den Museen
von Hamburg, Kiel, Flensburg, Meldorf, Lübeck, in norddeutschen Privatsammlungen und
im Handel erhalten haben. Die Gebrauchstextilien hatten in der Regel ein schlimmeres
Schicksal als die reichgeschnitzten Hamburger, Danziger und Wismarer Schränke aus der
zweiten Hälfte des 17. Säkulums. Die Stücke kamen außer Mode; alte Familien starben aus;
der ehemalige Besitz des Patriziates wanderte ab auf das Land, in die Umgegend von Ham-
burg, in die altbäuerlichen Bezirke von Schleswig-Holstein. Da Hamburg einer nicht un-
erheblichen Zahl wohlhabender niederländischer und holländischer Geschlechter Unter-
kunft und Fortkommen gewährte, die aus der Heimat, schon aus rein handelspolitischen
Gründen, in Mengen Textilien — vornehmlich auch Kissenblätter — bezogen, ist das uns
überkommene Gut naturgemäß ein ziemlich buntes Gemisch. Die Klärung ist um so schwie-
riger, als sich die in Hamburg ansässigen Wirker aus verschiedenen Gegenden der Nieder-
lande rekrutierten und wir über Technik und Stil der einzelnen Ateliers — namentlich
in der Spätzeit — durch authentische Stücke nur mangelhaft unterrichtet sind. Erschwert
wird die Beurteilung durch die zweifellos feststehende Tatsache, daß Lüneburg — im
Flensburger Museum hängt ein charakteristischer Lüneburger Wandteppich —, Lübeck
und wohl auch Wolfenbüttel-Braunschweig sich eifrig an dem Kissenimport beteiligten,
von den Wismarer Werkstätten ganz zu schweigen. E. Sauermann hat 19 1 688) den inter-
essanten Versuch unternommen, in einem Aufsatz die große Masse der in Hamburg und
Schleswig-Holstein beheimateten Kissenblätter einer Orientierung zu unterziehen, ohne
allerdings bestimmte Manufakturen als Erzeuger in Anspruch zu nehmen. Der Verfasser
gliedert die Stücke in drei Gruppen, in die Kissen mit quadratischem Mittelfeld, in solche
mit Rundbild und in Stücke, die sich an den zweiten Typ anlehnen oder die ganze Fläche
einheitlich überspinnen. Eine zeitliche Trennung der ersten und zweiten Kategorie dürfte
m. E. kaum möglich sein. In den Niederlanden und Holland laufen beide Typen zeitlich
nebeneinander her, es wird in Hamburg und Umgebung kaum anders gewesen sein. Am
bedeutsamsten ist zweifellos die Gruppe mit dem rechteckigen Mittelfeld. In Hinsicht auf
Qualität reicht sie in der Regel an die Hamburger Orpheuskissen nicht ganz heran. Trotz-
dem ist die technische und stilistische Übereinstimmung — Stadtbilderfond, Wiedergabe
der Flora usw. — so weitgehend, daß unbedingt eine der kleineren Hamburger Manufak-
turen als Erzeuger in Anspruch genommen werden kann. Zur Darstellung gelangen in er-
ster Linie biblische Motive — Königin von Saba, Salomos Urteil, Esther und Ahasver, Epi-
soden aus der Geschichte der Erzväter Abraham, Jakob und Joseph, Simson und der Löwe,
Susanna, Bathseba, die Parabel vom verlorenen Sohn, Leben Jesu und der Apostel —, in
zweiter Episoden aus der Antike — Orpheus, Pyramus und Thisbe —, schließlich allego-
rische Tierbilder — Einhorn, Löwe, Hirsch — und das übliche Blumen- und Früchtebunt.
Charakteristisich ist in allen Fällen die Verplattung der niederländischen Technik und
Zeichnung — als Vorlagen dienten, wie üblich, Holzschnitte und Kupferstichblätter — und
der Übergang in eine volkstümliche, zum Schluß vollkommen verbauernde Technik. Da
E. Sauermann seit Jahren eine ausführliche Veröffentlichung plant, die hoffentlich Klarheit
in das Gebiet bringt, darf ich mich füglich auf einige technisch-stilistische Randbemerkun-
gen und auf einzelne mir besonders charakteristisch erscheinende Stücke beschränken.

Bemerkenswert ist ein Kissenbezug — Pyramus und Thisbe (97 b) —, der aus Plön
stammt und im Lübecker Museum für Kunst- und Kulturgeschichte bleibende Stätte fand.
Die Verwandtschaft mit den authentischen Hamburger Erzeugnissen ist nicht zu bestreiten,
wenn auch gewisse Abweichungen — Vernachlässigung der Flora — nicht zu verkennen
sind. Die Bordüre — Früchte und Blumen — hat bereits eine weitgehende Vereinfachung

16 Göbel, Wandteppiche III, 2.

121
 
Annotationen