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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 2): Die germanischen und slawischen Länder: West-, Mittel-, Ost- und Norddeutschland, England, Irland, Schweden,Norwegen, Dänemark, Russland, Polen, Litauen — Leipzig, 1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.13168#0136

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Hamburg. Altona. Stade. Schleswig-Holstein

und Stilisierung erfahren. Die Gesamtkomposition ist noch klar und übersichtlich. Erheb-
lich unruhiger wirkt der David-Bathseba-Kissenbezug im Flensburger Kunstgewerbemuse-
um (97c). Die handelnden (vier) Personen im Vordergrunde erscheinen bei der Kleinheit
des Stückes und der schon primitiver werdenden Technik stark gedrängt. Die Zerrissenheit
wird durch die allzu großen, stark vereinfachten und stilisierten Blüten der Bordüre, in die
oben und unten winzige Tiermedaillons einkomponiert sind, noch vergrößert. Das Stück
mutet wie die Fortsetzung der zu Beginn des Abschnittes erwähnten, wesentlich früheren
David-Bathseba-Behänge an, die Zeit der Entstehung ist schwerlich vor 1610 anzunehmen.
Das weitere Stadium des Überganges in die Volkskunst verkörpern ein Kissen (Salomo und
die Königin von Saba, Abb. 98 a) im Victoria and Albert Museum zu London und ein noch
weitaus primitiveres Stück (Simson und der Löwe, Engel, Abb. 98 b) im Kunstgewerbe-
museum der Stadt Flensburg.

Schwieriger gestaltet sich die Einfügung der von E. Sauermann konstruierten zweiten,
der Rundbildgruppe. Als Belege bringt der Verfasser zwei in Seide gewirkte Kissen, eins
aus Fellingstedt (jetzt im Kunstgewerbemuseum Flensburg) mit der Darstellung des Ver-
kaufs Josephs (Abb. 99a), ein zweites — Paulus und Silas im Gefängnis zu Philippi — im
Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. Technik und Zeichnung sind in beiden Fäl-
len ausgesprochen westlich. Es ist nicht ausgeschlossen, daß Hamburger Wirker in der
zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts unmittelbar aus den österreichischen Erblanden oder
Holland einwanderten — ein Fall, der sich ja dutzendemal in der Geschichte der deut-
schen Bildwirkerei wiederholt — und Erzeugnisse schufen, die von den Produkten der alten
Heimat kaum zu unterscheiden sind. Zuweisungen an ein deutsches Gebiet sind m. E.
jedoch erst dann möglich, wenn urkundlich oder durch Signaturen die Provenienz unzwei-
deutig gewährleistet wird. Das Kissenblatt mit dem „Verkauf Josephs", in einer glänzend
durchgeführten Blumenrahmung, ist m. E. Brüsseler oder Antwerpener Erzeugnis69). In-
teressant ist der Vergleich mit den Blumenbordüren der van der Strecken, Leefdael, van der
Hecke, de Clerck u. a. Die Paulusepisode stammt wahrscheinlich aus einer Antwerpener
Werkstatt — gewisse Einzelheiten sprechen für Amsterdam —; die technische Behandlung
steht auf einer noch höheren Stufe als die des vorigen Stückes. Kissen verwandter Art fin-
den sich zu Hunderten in Sammlungen und im Kunsthandel. In Abb. 99b bringe ich zwei
Kissenbezüge -— die Weihnachtsbotschaft an die Hirten, Flucht der Heiligen Familie70) —,
im Besitze der Münchener Kunsthandlung L. Bernheimer, die in weit stärkerem Maße die
Tätigkeit eines in Niederdeutschland arbeitenden Flamen veranschaulichen. Ob Hamburg,
Lübeck, Wismar oder Wolfenbüttel in Frage kommen, läßt sich nach dem heutigen Stand
der Forschung mit Sicherheit nicht entscheiden.

Recht interessant sind die Rundbildkissenblätter mit starker Vergröberung, um nicht zu
sagen Verbauerung der Technik, auch insofern, als mit großer Wahrscheinlichkeit der Ent-
stehungsort in der Umgegend von Hamburg und in den angrenzenden Bezirken der Pro-
vinz Schleswig-Holstein zu suchen ist. Aller Voraussicht nach handelt es sich um Schüler
von Hamburger Kleinmeistern, die das ergiebige Feld bäuerlichen Prunkbedürfnisses
beackerten. Die von E. Sauermann71) erwähnten Stücke — Simson und der Löwe (Abbil-
dung 100a), „Salomo und die Königin von Saba" (Abb. 101a, beide im Flensburger Kunst-
gewerbemuseum), „Tobias und der Engel" (Thaulow-Museum, Kiel)—zeigen unzweideutig
die Wandlung ursprünglich Antwerpener oder Amsterdamer Vorlagen — bemerkenswert ist
die Vorliebe für Tulpen, die in den holländischen Wirkereien des ausgehenden 17. Jahr-
hunderts eine ständige Rolle spielen — in das rein Volkstümliche. Verwandte Stücke —
Abrahamsopfer im Kreisrund, Jung-Tobias und der Engel (Viereck), allegorische Frauen-
gestalt mit Kelch und Schwert im Kreis sowie auf Staudengrund, Papagei zwischen Blu-
menbunt usw. — verzeichnet die an niederdeutschen und nordischen Kissenblättern und

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