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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 2): Die germanischen und slawischen Länder: West-, Mittel-, Ost- und Norddeutschland, England, Irland, Schweden,Norwegen, Dänemark, Russland, Polen, Litauen — Leipzig, 1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.13168#0253

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Rußland. St. Petersburg

gestellten großen Serien treten zunächst zurück. Die Schlacht von Poltawa, nach dem Ent-
würfe des Hofmalers Louis Caravacque (Caravacca), das erste Stück einer gewirkten Ge-
schichte Rußlands, wird zwar vor 1719 begonnen, findet aber erst 1723 seine Vollendung,
ähnlich verhält es sich mit der Türkenschlacht.

Mit dem Ausscheiden Menschikoffs als Oberintendant und der Unterstellung der Manu-
faktur unter das „Berg-(Bergbau-) Kollegium" (1719) — 1732 gliedert sich das sog. Manu-
faktur-Kollegium ab — erlischt das anfänglich , wenn auch etwas strohfeuerhaft bezeugte
landesherrliche Interesse.

Bagueret, der Leiter des Manufaktur-Kollegiums tut zwar sein möglichstes, das ihm
anvertraute Atelier weitestgehend zu fördern. Die Unzufriedenheit der Wirker und der
geringe Sonderbetrag (3668 Rubel), der der Werkstatt aus der kaiserlichen Schatulle zu-
fließt, lassen weitgreifende Maßnahmen — es ist die Errichtung eines besonderen Gebäudes
geplant — als wenig aussichtsvoll erscheinen. Die staatlichen Kassen sind stark in Anspruch
genommen; Baguerets Pläne, die auf die Einstellung zweier geeigneter Patronenmaler und
die Ausbildung einer größeren Zahl heimischer Wirker (15 Lehrlinge) zielen, finden keine
Gegenliebe. 1720 verläßt die Mehrzahl der aus Frankreich berufenen Meister St. Petersburg
— Vavoque geht zur Münchener Wandteppichmanufaktur über —; 1723 scheiden Ca-
mousse, Vater und Sohn aus, 1732 finden wir nur noch den jüngeren Philippe Behagle (gest.
1733) und Bourdin. Der ursprünglich rein französische Stamm ist fast vollkommen durch
den russischen Nachwuchs ersetzt.

Mit dem Jahre 1732 endet der zweite Abschnitt des Petersburger Bildteppichateliers, die
Unterstellung unter das Berg- bzw. Manufaktur-Kollegium wird aufgegeben, eine neue
Blütezeit setzt ein unter dem Protektorat der kunstsinnigen Kaiserin Anna Iwanowna. Die
Epoche von 1719 bis 1732 zeichnet sich naturgemäß nicht durch besonders hervorragende
Arbeiten aus. Die sachkundigen französischen Meister waren zum größten Teil nicht mehr
vorhanden; die russischen Lehrlinge und Gehilfen sind zwar willig (ein Behang trägt [in
russischer Sprache] die Signatur: „Arbeit der russischen Schüler in St. Petersburg, 1734");
aber zunächst nicht sonderlich geschickt; der der Manufaktur zugeordnete Maler Demetrius
Solowjew ist auf die Kartontechnik nur mangelhaft eingestellt. Die Hofmaler Caravacque
und Pilman sind mit amtlichen Arbeiten zu sehr in Anspruch genommen, um dem Unter-
nehmen ein weitgehendes Interesse widmen zu können. 1724 verzeichnet das Petersburger
Atelier zehn, 1732 bereits 32 Schüler. Abgesehen von vier Verdüren in der Moskauer Rüst-
kammer (Orouzheinaia Palata), datiert 1734 bis 1738, Blumen- und Vogelstücken mit und
ohne Figuren und verschiedenen gewirkten Porträts Peters des Großen (Abb. 190, 191), ist
kein Behang von nennenswerter Bedeutung in dem genannten Zeitabschnitt entstanden.

Mit der Einordnung der Manufaktur in den Betrieb der Hofkanzlei (31. Oktober 1732 bis
30. Januar 1755) — die Kaiserin lehnt die Verlegung nach Moskau ausdrücklich ab —
beginnt der Aufschwung in scharfer Kurve. Die unzureichenden Baulichkeiten werden auf-
gegeben, das Atelier bezieht einen weiträumigen Herrschaftshof; die Gehälter werden auf-
gebessert, vorzügliche Rohmaterialien aus dem Ausland beschafft. 1741 verzeichnet die
Manufaktur ein Personal von rund 60 Köpfen. Behagle, der tüchtige Leiter des Unterneh-
mens, verstirbt 1733, Iwan Kobyliakoff (Koboiljakow) übernimmt den hochlitzigen, Michael
Atmanoff den tief litzigen Betrieb; Lazaroff untersteht die Färberei.

Mit dem Ableben der Kaiserin Anna (1740) tritt ein starker Rückschlag ein. Die prunk-
süchtige, in Wirklichkeit künstlerisch kaum interessierte Elisabeth Petrowna kümmert sich
wenig um die Lieblingsmanufaktur ihrer Vorgängerin. Die Zahl der Gesellen sinkt auf ein
Drittel und weniger herab. 1750 stirbt der letzte französische Meister Bourdin. Die Hof-
kanzlei unterhält den Betrieb zeitweilig aus eigenen Mitteln; die Gehaltszahlungen werden
eingestellt; das Personal läuft auseinander; die Gebäude verfallen; seit 1745 liegt die Manu-

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