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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 2): Die germanischen und slawischen Länder: West-, Mittel-, Ost- und Norddeutschland, England, Irland, Schweden,Norwegen, Dänemark, Russland, Polen, Litauen — Leipzig, 1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.13168#0254

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Rußland. St. Petersburg

faktur im Zustande der Agonie. Die wesentlichste, 1733 begonnene, 1738 vollendete Serie ist
eine prächtige Groteskenfolge, teils in hoch-, teils in tieflitziger Technik. Ein blumen-
bekränzter Rahmen faßt ein Mittelmedaillon mit figürlicher Szene — Diana nach der Jagd
(Abb. 192) —; auf zartem Rankenwerk tummeln sich Hunde, Vögel und allerlei sonstiges
Getier; Putten hocken auf dem von Draperien überhöhten Sockel, der in Chimären ausläuft;
fein detaillierter Baumschlag, der aus Ranken wächst, bildet den seitlichen Abschluß. Ent-
wurf, Technik und Durchführung sind außerordentlich eindrucksvoll; die Serie gehört zu
den hervorragendsten dekorativen Behängen der Bildwirkerkunst; sie vermag sich getrost
mit den ersten Arbeiten der Gobelins und Beauvais' zu messen. Die Mittelmedaillons und
die Tierstaffage wechseln in jedem Teppich. Augenscheinlich gelangten zwei „Spalier"-
Serien zur Durchführung, eine in den Abmessungen kleinere, ohne Mittelmedaillon (1733,
1735) (4 [3] Behänge, 2 in hoch-, 2 in tieflitziger Technik)6) und die Medaillonreihe — Tri-
umphe Alexanders, Triumph des Friedens, Diana nach der Jagd, Vulkan und Jupiter,
Triumph des Bacchus, Flora, die Göttin des blühenden Gartens (sämtlich 1737), Apollo und
die neun Musen auf dem Parnaß (1738) — mit sieben Teppichen in hochlitziger Technik.
Die restlichen Arbeiten von 1732 bis 1738 beschränken sich auf Bilderkopien — Vogel-
stilleben (1733), Pflanzenmotive (1734), ein Blumenkörbchen in Basselisse (1738), das
Porträt der Zarin Anna und eine durchaus dekorative, in den Jahren von 1734 bis 1740
entstandene Folge von vier (sieben) Behängen (Abb. 193 a, H. 2,84 m, L. 2,11 m)7). Zweifel-
haft ist die Provenienz zweier Wirkereien in reichem Rokokorahmen mit Eck- und Mittel-
kartuschen in der ehemaligen Sammlung des Erzherzogs Leopold Salvator: Venus und der
geliebte Jäger ruhen neben dem von Tauben und Putten umschwirrten Wagen, zwei Mäd-
chen in einer Waldlichtung (um 1739)8).

1738 beginnt die Kopie einer Brüsseler Frühbarockreihe mit Episoden aus der biblischen
Geschichte: Abraham vertreibt Hagar und Ismael (1738), Isaak und Rebekka (1738), Elieser
und Rebekka, die Braut Isaaks (1739), Ismael und Isaak im Spiel (1739), Amalek und
Abraham (1739). „Der Empfang der Königin von Saba" ist gleichfalls eine Kopie nach
einem Brüsseler Behang — sofern es sich überhaupt um eine Petersburger Wiederholung
handelt (zu lebhafte Farben, verschiedene Technik!). Die Teppiche befanden sich vor der
russischen Revolution im Moskauer Waffenmuseum (Rüstkammer), sie zählen m. W. noch
heute zu dem Bestände der russischen Staatssammlungen9).

1733 wird als weitere Kopie die Wiederholung der bekannten Gobelinfolge der „Neu-
indienreihe" nach Francois Desportes in Angriff genommen; die Durchführung der zweiten
Wiederholung, 1740 begonnnen, zieht sich bis 1757 hin. Eine dritte Kopie — ob in privatem
Auftrage? — in mäßiger Ausführung stammt aus der Mitte der fünfziger Jahre; den „india-
nischen Jäger" verzeichnet die Pariser Sammlung Rene Charlier. Der „Maurenkönig", mit
dem Petersburger Stadtnamen, der Jahreszahl 1741 und den Wirkerinitialen P ■ E • B •,
zählte zu dem Bestände der Sammlung Dautzenberg-Braquenie\ die als weiteren russischen
Wandteppich ein Stück der Weltteilfolge, „Europa", ihr eigen nannte. Die Bordüre der
Neuindienserie trägt in der Mitte oben die Initialen Peters des Großen und Katharinas I.
(Abb. 194 a). Die Folge hing 1918 im großen Versammlungssaal des Palais de Monplaisir
zu Peterhof (zusammen mit „Afrika", datiert 1749, aus der Weltteilfolge).

Als ergänzende Reihe wird eine Weltteilserie 1745 auf die Gezeuge gelegt und vollendet,
eine Wiederholung stammt aus den Jahren 1748/49. Zur Darstellung gelangen die Konti-
nente Asien, Afrika, Europa und Amerika; allegorische Frauengestalten, von den für den
Erdteil charakteristischen Tieren umgeben, in eine entsprechende Landschaft gestellt
— Pyramiden, exotische Gewächse usw. —, symbolisieren den betreffenden Kontinent; Tro-
phäen füllen den unteren Teil der verhältnismäßig schmalen und hohen Stücke. Die Agraffe
in der Mitte der oberen Bordüre zeigt die von der Krone überhöhten kaiserlichen Initialen;

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