DOI issue:
No. 61
DOI Page / Citation link: https://doi.org/10.11588/diglit.34670#0359
Einige neuere Schriften über Homer. 975
Es scheint eine nothwendige Fo!ge der menschli-
chen Schwäche zu seyn, daß einem jeden bedeutenden
Fortschritte in irgend einer Sphäre der Wissenschaft,
gerade je gröfser, gewaitiger er ist, desto längerer Still-
stand ihm auf dem Fufse zu folgen pflegt; gleichsam
als bedürfte der ermüdete Geist Ruhe, um sich von der
Anstrengung zu erholen, die allerdings nicht den ein-
zelnen productiven Denker allein, sondern mit ihm seine
ganze Zeit trifft, in so fern es dieser wohl noch gröfsere
Mühe kostet, seine Schöpfung zu fassen und sich an-
zueignen, als ihm, sie hervorzurufen. Aber die Zeit im
Allgemeinen steht darum nicht still, und je länger der
Wanderer sich auf der Lagerstätte der behaglichen Ruhe
überlassen hat, desto stärkerer Schritte bedarf es nach-
her wieder , um die Gesellschaft der übrigen Wissen-
schaften einzuholen, die inzwischen ihren Gang gleich-
mäßiger, aber eben darum auch anhaltender fortgesetzt
haben. Man kann die schöpferischen Geister, die Bahn-
brecher in der Wissenschaft mit den Eroberern in der
Weltgeschichte vergleichen : keiner derselben, dem die
Nachwelt das Prädicat des Großen versagte und seinen
Namen nicht bewundernd an die Spitze der Periode
stellte, die von der Saat, die er auf dem frischgepflügten
Boden gestreut, bisweilen Jahrhunderte lang ihr Daseyn
fristete; aber auch keiner derselben, den nicht dieNoth-
wendigkeit, seine eigene Schöpfung zu erhalten, mehr
oder minder zum Tyrannen gemacht und das neue Ge-
wand, mit dem er seine Zeit geschmückt, allmählig in
eine drückende Fessel verwandelt hätte; und daß jeder
Tyrannei eine Reaction folgt, und zwar um so entschie-
dener und erschütternder, je länger und dumpfer jener
den Geist in unthätiger Ruhe und blindem Gehorsam zu
halten gelungen war, findet sich in der Geschichte der
Wissenschaft wie in der des Lebens stets neu bestätigt.
Systeme, die ganze Generationen lang durch die ma-
gische Gewalt blendenden Scharfsinnes und überraschen-
der Genialität die Geister beherrschten, werden plötzlich
mit eben so blinder Zerstörungswut!! angefallen und kein
Es scheint eine nothwendige Fo!ge der menschli-
chen Schwäche zu seyn, daß einem jeden bedeutenden
Fortschritte in irgend einer Sphäre der Wissenschaft,
gerade je gröfser, gewaitiger er ist, desto längerer Still-
stand ihm auf dem Fufse zu folgen pflegt; gleichsam
als bedürfte der ermüdete Geist Ruhe, um sich von der
Anstrengung zu erholen, die allerdings nicht den ein-
zelnen productiven Denker allein, sondern mit ihm seine
ganze Zeit trifft, in so fern es dieser wohl noch gröfsere
Mühe kostet, seine Schöpfung zu fassen und sich an-
zueignen, als ihm, sie hervorzurufen. Aber die Zeit im
Allgemeinen steht darum nicht still, und je länger der
Wanderer sich auf der Lagerstätte der behaglichen Ruhe
überlassen hat, desto stärkerer Schritte bedarf es nach-
her wieder , um die Gesellschaft der übrigen Wissen-
schaften einzuholen, die inzwischen ihren Gang gleich-
mäßiger, aber eben darum auch anhaltender fortgesetzt
haben. Man kann die schöpferischen Geister, die Bahn-
brecher in der Wissenschaft mit den Eroberern in der
Weltgeschichte vergleichen : keiner derselben, dem die
Nachwelt das Prädicat des Großen versagte und seinen
Namen nicht bewundernd an die Spitze der Periode
stellte, die von der Saat, die er auf dem frischgepflügten
Boden gestreut, bisweilen Jahrhunderte lang ihr Daseyn
fristete; aber auch keiner derselben, den nicht dieNoth-
wendigkeit, seine eigene Schöpfung zu erhalten, mehr
oder minder zum Tyrannen gemacht und das neue Ge-
wand, mit dem er seine Zeit geschmückt, allmählig in
eine drückende Fessel verwandelt hätte; und daß jeder
Tyrannei eine Reaction folgt, und zwar um so entschie-
dener und erschütternder, je länger und dumpfer jener
den Geist in unthätiger Ruhe und blindem Gehorsam zu
halten gelungen war, findet sich in der Geschichte der
Wissenschaft wie in der des Lebens stets neu bestätigt.
Systeme, die ganze Generationen lang durch die ma-
gische Gewalt blendenden Scharfsinnes und überraschen-
der Genialität die Geister beherrschten, werden plötzlich
mit eben so blinder Zerstörungswut!! angefallen und kein