Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Belletristische Literatur.

723

Es sey uns vergönnt, mit Nr. 4 den „Genzianen von
H ermann Kurtz44, eine kieine Sammlung von Poesieen in
ungebundener Rede unter die bisher beurtheilten und später
anzuzeigenden metrischen Versuche einzuführen. Wir wagen
dies, weil die besten unter den Dichtungen dieses „Novellen-
straufses44 durch ihren Stoff, der ebensowohl die Grundlage
schöner Romanzen hätte abgeben können, wie durch ihre
harmonische Behandlung und, wenn dieser Ausdruck erlaubt
ist, schlanke Darstellung wirklich den Eindruck metrischer
Dichtungen machen. Dieses grofse Lob gebührt übrigens nur
den drei ersten der so betitelten Familiengeschichten, welche
die eine Hälfte des Bändchens einnehmen, und wovon die
bedeutendste, die unbetitelte, die beiden andern „die Glocke
von Attendorn44 und „der Apostat44 einrahmt; sodann gilt es
noch von der ersten Novelle der zweiten Hälfte dem „Sim-
plicjssimus44 und seinem etwas schwächeren Abbilde, dem
„schwäbischen Merkur44. Die beiden andern Novellen, die
den Band füllen: „Abentheuer in der Heimath44 und „das
Wirthshaus gegenüber44, beides Reminiscenzen aus dem Stu-
dentenleben, sind mehr rhapsodischer Natur; sie haben schöne
und glänzende Partieen, aber der Vf. hat nicht genug Kunst
auf sie verwendet, dafs sie zu einem Ganzen abgerundet er-
schienen. Der Appendix der Familiengeschichten: „wie der
Grofsvater die Orofsmutter nahm44 ist in seiner ersten Hälfte
so beschaffen, dafs er mit keiner der diesem Bändchen ein-
verleibten Erzählungen die Vergleichung aushält.
In den vollkommeneren Erzählungen aber hat der Dich-
ter; ein Schwabe, den poetischen Charakter seines Volkes,
theils objektiv, durch die Wahl des Stoffes, der Begeben-
heiten und Charaktere, theils subjektiv, durch seine vom Gei-
ste des Stammes durchdrungene Behandlung', höchst glück-
lich dargestellt, und sehr zur gelegenen Zeit eine praktische
Apologie seiner Landsleute geliefert. Objektiv, sofern ein
grofser Theil seiner Novellendichtungen Schwaben und die
Persönlichkeit seiner Bewohner schildert , hat er durch die
Verkörperung seiner psychologischen Studien vortrefflich und
in einer Darstellung, die den Leser mit Wohlbehagen erfül-
len mufs, gezeigt, dafs der eigenthümliche Grundzug des
Schwaben, dem eine eben so feindselige als oberflächliche
Polemik das Gepräge engherziger Philisterei aufdrücken möch-
te, die äusserliche Ungelenkigkeit, die Schüchternheit und
Unbehoifenheit der Unschuld ist, dgifs aber die Unterlage die-
ser naiven Simplicität ein Charaktervoll Kraft, ein Geist voll
Gemiith und Phantasie bildet, und dafs dieses Gemüth hin-
wiederum einen sehr hellen Verstand zur Grundlage hat, dem
im Nothfalle auch ein Witz zu Gebote steht, der fremde
Armseligkeit oder Bosheit mit den Waffen des Spottes zu
bestrafen weifs, wenn mifsbrauchte und ermüdete Gutmiithig-
keit sich endlich zurückzieht und ihm ihre Vertheidigung
 
Annotationen