204 Prokesch von Osten, Denkwiirdigkk. u. Erinnerungen aus d. Orient
gerne man solche Worte aus dem Munde eines Türken höre, so
glaubt Hr. Prokesch doch einen solchen Grad universeller Tole-
ranz als verderblich zurückweisen zu müssen. Wir sind über-
zeugt, dass im ersten Augenblicke nicht jedermann das in der
türkischen Phrase versteckte Gift zu entdecken vermöge. , Bringt
man aber mit Prokesch’s Axiom eine Stelle in Verbindung, die man
bei einem letzhin im christlich-monarchischen Europa mit Beifall
begrüssten Schriftsteller liest, so wird man linden, dass Hr. Pro-
kesch nicht etwa allein dieser Meinung folgt. „Le cosmopolitisme,
schreibt Hr. Michael Chevalier, est gener&lement un signe
de decadence dans Techelle des nations, comme la toleranee re-
eigieuseest un Symptome de l’affaiblissement des
croy an cesu *). Will aber namentlich Hr. Prokesch uns in die-
ser Stplle seine Betrübniss über die Niederlage des Islam und das
allmälige Abstumpfen seiner ursprünglichen Schärfe zu erkennen
geben, und gleichsam den Wunsch ausdrücken, der Gegensatz
zwischen Christ und Mohammedaner möchte heutzutage noch eben
so scharf wie vormals dastehen, so könnte man ihm seinerseits mit
noch viel grösserem Nachdruck den Vorwurf machen, dass er, von
politischer Arithmetik bethört, den Triumph des Evangeliums über
seinen giftigsten Gegner hemmen, wonicht gar auf ewig unmög-
lich machen will. Sind ihm denn in ihrer Beziehung auf Wohl
und Wehe des menschlichen Geschlechtes Evangelium und El-Is-
lam von gleichem Werthe? Man könnte fragen, warum Hr. Pro-
kesch, der doch in den vorangehenden Bänden mit so unparteii-
schem und gerechtem Maase Lob und Tadel unter Türken und
Griechen zertheilt, ja sogar bisweilen noch einen leisen Anflug
vom Schulenthusiasmus jener Periode trug, am Ende seiner Schrift
diesen billigen Sinn verlässt, allen Glauben auf das griechische
Volk verliert, und im Gegensätze mit seiner Zeit die erbleichende
Herrschaft des Halbmondes wieder zu Kraft und Ehren bringen
will ? Vier Dinge scheinen uns diese Verwandlung hinlänglich
zu erklären: 1) Der Aufenthalt des Verfassers in und um Kon-
stantinopel; 2) Die kriegerischen Begebenheiten vor Athen im
Frühjahre 1827.; 3) Der persönliche Verkehr mit Ibrahim-Pascha,
und 4) Die Anfänge des Grafen Kapodistrias in Griechenland.
Liest man das Urtheil, welches Hr. Prokesch am Schlüsse
seiner langen Korrespondenz aus Konstantinopel über das alt-by-
zantinische Reich (Bas Empire, Griechisches Kaiserthum) fällt
#) Lettre* «ur PAmericpie du Nord, Vol. 2. pag. 412. Brüssel 188L
gerne man solche Worte aus dem Munde eines Türken höre, so
glaubt Hr. Prokesch doch einen solchen Grad universeller Tole-
ranz als verderblich zurückweisen zu müssen. Wir sind über-
zeugt, dass im ersten Augenblicke nicht jedermann das in der
türkischen Phrase versteckte Gift zu entdecken vermöge. , Bringt
man aber mit Prokesch’s Axiom eine Stelle in Verbindung, die man
bei einem letzhin im christlich-monarchischen Europa mit Beifall
begrüssten Schriftsteller liest, so wird man linden, dass Hr. Pro-
kesch nicht etwa allein dieser Meinung folgt. „Le cosmopolitisme,
schreibt Hr. Michael Chevalier, est gener&lement un signe
de decadence dans Techelle des nations, comme la toleranee re-
eigieuseest un Symptome de l’affaiblissement des
croy an cesu *). Will aber namentlich Hr. Prokesch uns in die-
ser Stplle seine Betrübniss über die Niederlage des Islam und das
allmälige Abstumpfen seiner ursprünglichen Schärfe zu erkennen
geben, und gleichsam den Wunsch ausdrücken, der Gegensatz
zwischen Christ und Mohammedaner möchte heutzutage noch eben
so scharf wie vormals dastehen, so könnte man ihm seinerseits mit
noch viel grösserem Nachdruck den Vorwurf machen, dass er, von
politischer Arithmetik bethört, den Triumph des Evangeliums über
seinen giftigsten Gegner hemmen, wonicht gar auf ewig unmög-
lich machen will. Sind ihm denn in ihrer Beziehung auf Wohl
und Wehe des menschlichen Geschlechtes Evangelium und El-Is-
lam von gleichem Werthe? Man könnte fragen, warum Hr. Pro-
kesch, der doch in den vorangehenden Bänden mit so unparteii-
schem und gerechtem Maase Lob und Tadel unter Türken und
Griechen zertheilt, ja sogar bisweilen noch einen leisen Anflug
vom Schulenthusiasmus jener Periode trug, am Ende seiner Schrift
diesen billigen Sinn verlässt, allen Glauben auf das griechische
Volk verliert, und im Gegensätze mit seiner Zeit die erbleichende
Herrschaft des Halbmondes wieder zu Kraft und Ehren bringen
will ? Vier Dinge scheinen uns diese Verwandlung hinlänglich
zu erklären: 1) Der Aufenthalt des Verfassers in und um Kon-
stantinopel; 2) Die kriegerischen Begebenheiten vor Athen im
Frühjahre 1827.; 3) Der persönliche Verkehr mit Ibrahim-Pascha,
und 4) Die Anfänge des Grafen Kapodistrias in Griechenland.
Liest man das Urtheil, welches Hr. Prokesch am Schlüsse
seiner langen Korrespondenz aus Konstantinopel über das alt-by-
zantinische Reich (Bas Empire, Griechisches Kaiserthum) fällt
#) Lettre* «ur PAmericpie du Nord, Vol. 2. pag. 412. Brüssel 188L