Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Rr. 49. HEIDELBERGER 1848.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.

Gottsched und seine Zeit^ von DanzeL

(Schluss.)
Ihnen liegt die Malerei der Poesie nicht blos im Ausdruck, sondern, wie
Breitinger sagt, in der ganzen Arbeit der poetischen Nachahmung und Erdich-
tung mit allen ihren Geheimnissen und Kunstgriffen, ihnen ist die Poesie eben
nur eine poetische Malerkunst, weil dieses lebhafte und herzbewegende Schil-
dern das eigenthümliche Werk der Dichtkunst ist. (Breitinger, Krit. Dichtkunst
Th. I. S. 81.) Deshalb hat hier auch das künstlerische Schaffen eine ganz an-
dere Stellung. Bodmer sagt in der Vorrede zu Breitinger’s Krit. Dichtkunst:
„Es ist zwar gewiss, dass die Natur vor der Kunst dagewesen ist, angesehen
die Kunst nichts ist als eine nachgeahmte Natur; ich gestehe auch zu, dass Ho-
mer’s, Sophokles’ und Demosthenes’ Schriften ohne die Hülfe der Kunstbücher
geschrieben worden, in welchen die Kunst in Regeln vorgetragen ist, allein die-
ses will nicht sagen, dass besagte Schriften darum ohne Regeln verfasset wor-
den, sonst müsste keine Kunst und folglich keine Natur darinnen vorhanden sein,
weil die Regeln nichts sind als Auszüge und Anmerkungen der Kunst und der
Natur, sie müssten auch ohne Annehmlichkeit und Schönheit sein, weil die Re-
geln und das, was gefällt, nicht zwei streitende Dinge sein können.“
Was also war der Unterschied beider, Gottscheds und der Schweizer?
Man sieht, es ist kein tiefgreifender. Es ist kein eigentlicher Gegensatz. Gott-
sched dringt auf Befolgung der abgezogenen Regeln, auch die Schweizer halten
diese für gut und nothwendig und deshalb können sie lange mit Gottsched in
Uebereinstimrnung leben und sich sogar an ihm bilden. Aber die Schweizer
gehen zugleich einen Schritt weiter, sie bleiben nicht bei der blossen Regel
stehen, sondern machen ihr gegenüber etwas Höheres, etwas über die Regel
Hinausgehendes geltend, etwas specifisch Geniales, ursprünglich Productives. Das
ist Etwas, was nicht erlernt werden kann, sondern angeboren sein muss; Etwas,
das nicht a priori demonstrirt werden kann, sondern das da sein muss, in äus-
serlich aufweisbarer Existenz, wenn es begriffen werden soll. Und das grade
ist es, was den Schweizern mangelt, sie können kein positives Werk in ihrem
Sinne aufweisen. Daher kommt der Streit auch zu keiner rechten, augenfälligen Lö-
sung, sondern versandet in sich, denn er enthält einen innern Widerspruch. Gott-
sched’s Prinzip ist das untergeordnetere, deshalb muss es unterliegen, aber der
Sieg der Schweizer kann auf dem Wege der Theorie und Kritik nicht erfochten
werden. Deshalb wird Gottsched nicht sogleich aus allen Posten herausgeschla-
gen, aber es war um ihn geschehen, sobald Klopstock’s Messias erschien. Er
sträubt sich gegen diesen mit allen Kräften, er kämpft gegen ihn den Kampf
der Verzweiflung. Warum? „Weil in Klopstock’s Messias in der That das ihm
entgegenstehende Element verwirklicht wurde, weil derselbe als der längst ge-
XLI. Jahrg. 5. Doppelheft, 49
 
Annotationen