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Pröhle: Jahn’s Leben.

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als Zuschauer, sondern auch als mithelfender Rathgeber an dem
Gefecht Theil und sah mehre Leute neben sich fallen. Ob vor der
hohen Brücke oder hinter dem Galgthore, wo sich die Preussen
wieder setzten und tapfer kämpften? wird nicht angegeben, wie denn
überhaupt die Nachrichten sehr allgemein lauten. Genauer fallen
sie aus rücksichtlich Lübecks, wohin die Strömung den unstäten
Wanderer wiederum als Zeugen einer zweiten Schlacht geführt hatte.
„Die Preussen, meldete er, haben hier gestritten wie Numantiner,
aber Schurkerei eines Offiziers am Burgthor — und überhaupt die
Unvorsichtigkeit der Anführer machten Alles zu Schanden.“ Gleich
nach dem Einmärsche in Lübeck fragte der General Zweifel den
G.-L. Blücher: „Wann ehe befehlen Sie, dass morgen die
Parade aufziehen soll?“ (S. 25). — Bei diesem Anlass be-
merkt der Biograph, selbst grosse Geister wie Schleiermacher, Stef-
fens hätten einen Anflug der neuen Frivolität nicht abgewehrt und
sogar ein Luden habe Bachanalien gefeiert (S. 26). Diess alles ist
entschieden falsch und dient eben desshalb nicht zur Verherrlichung
des wackern Mannes, welcher den Hauptgegenstand des Buchs bildet.
Wie Jahn zwischen dem Tilsiter Frieden und dem Beginn des Be-
freiungskriegs allerlei patriotische Pläne und Umtriebe mit Gleichge-
sinnten, bisweilen abenteuerlicher Art, verfolgte, die Anfänge des
Turnwesens in Berlin schuf, besonders aber seinem literarischen Haupt-
unternehmen nachging, wird in den nächsten Abschnitten kurz er-
zählt, das Deutsche „Volksthum“ dagegen mit Grund ausführlicher
besprochen. Jene Schrift, 1810 erschienen, eines neuen Abdruckes
mit Kommentar wohl würdig, ist aus historisch- politisch-
pädagogischer Wurzel entsprossen, wie denn diese Richtungen
in tiefen einschneidenden Werken jener gepressten, gährenden Zeit
mehrmals zusammenfallen. Man denke nur an Fichte und selbst
den ideal-praktischen Pestalozzi, so verschieden sie sonst auch
sind! Jener wie dieser erstrebte eine verjüngende Besserung durch
Unterricht, Erziehung und sittliche Zucht zuerst des Hauses, dann
der Gemeinde, zuletzt des Volks. Kräftigung des Leibes und Gei-
stes durch möglichst einfache und naturwüchsige Mittel stand rück-
sichtlich der Methode bei dem grossen Philosophen und Pädagogen
oben an. Das blosse Abrichten von Soldaten, Beamten und Gelehr-
ten hatte sich längst als unthunlich und schädlich bewährt; überall
kündigten Nachdenken und Erfahrung das Bedürfniss einer Regene-
ration in dem bezeichneten Sinn an, zumal bei dem bescheidenen
Mass der technisch- industriellen Comfortsgelüste und materiellen Ci-
vilisation der Kern des Volks noch kräftig und reizbar geblieben
war. Das fragliche, merkwürdige Buch, aus Gedanken, Träumen
und Realitäten zusammengewebt, entwickelt den Begriff des „Teut-
schen Central- oder Reichsstaats“ ; es gehört, theils absichtlich, theils
zufällig vielfach mysteriös und räthselhaft, dem politisch-historischen
Quell an, aus welchem Platons Republik, Campanella’s Sonnenstaat,
Thomas Morus’ Utopia, Harrington’s Oceana und andere Idealpo-
 
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