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Schaller: Leib und Seele.

alles Seins annimmt, hat er seine Hypothese, „keine Kraft ohne Stoff“,
noch lange nicht bewiesen: ja gesetztenfalls man würde diese Hypo-
these wirklich als bewiesen gelten lassen, was der Materialismus for-
dern zu dürfen glaubt; so würden die aus diesen Principien sich er-
gebenden Consequenzen die ganze materialistische Metaphysik Um-
stürzen. Aber dieser Beweis ist noch lange nicht geliefert, so sehr
man auch, wie Vogt, die Unterscheidung zwischen Organischem und
Unorganischem als unhaltbar zu beweisen bemüht ist. • Wenn man
auch den Unterschied zwischen Kraft und Stoff von Seiten des Ma-
terialismus (Du Bois) bloss als begrifflichen, nicht als sachlichen,
bloss als logischen, nicht als metaphysischen behandelt; so hat man
jenen metaphysischen Dualismus, in welchem Schaller und jede idea-
listische Weltanschauung befangen ist, doch nicht eher auch auf
dem Gebiete der Naturwissenschaft besiegt, als bis es gelungen ist,
— sogar ganz abgesehen von den Thatsachen des Bewusstseins, —
sämmtliche Imponderabilien als Eigenschaften des Stoffes zu erklä-
ren. Was hier der Empirie noch zu thun übrig bleibt, um reif für
eine philosophische Weltanschauung zu werden, darauf habe ich im
Decemberhefte in meiner Kritik des Fechner’schen Atomismus hin-
gewiesen. Allein dass gerade an diesem Punkte der Materialismus
in einen metaphysischen Dualismus von Kraft und Stoff, in die idea-
listische , principiell verworfene Weltanschauung wieder zurückfällt,
kann man am deutlichsten an Ludwig’s „Physiologie des Menschen“
sehen. Derselbe unterscheidet zwischen chemischen und dynamischen
Folgen der Atome. Indem er unter letzterem die „über die Be-
rührungsstellen hinauswirkenden Anziehungen und Ab-
stossungen, welche in Folge der Umsetzung und Verbindung chemi- -
scher Stoffe zum Vorschein kommen“, bezeichnet, gibt er das Princip
des strengen Materialismus „keine Kraft ohne Stoff“, welches Büch-
ner, ohne es im geringsten zu erklären, bis zum Ueberdruss wie-
derholt, faktisch auf, und statuirt Kräfte, welche über den Stoff
hinausgehen, also doch wohl in ihren Kräften als stofflos betrachtet
zu werden scheinen. Der Materialismus fällt in den angefeindeten
Idealismuss zurück; der Idealismus stürzt das Princip zusammen,
auf welches er selbst basirt ist.
Das Resultat, in welches sich meine Kritik zusammenfassen
lässt, besteht in der Behauptung, dass Schaller in seinen Entgeg-
nungen dem Materialismus gegenüber darin Recht behält, dass er .
diesen auf eine ganze Reihe von Thatsachen aufmerksam macht,
welche derselbe in seiner metaphysischen Hypothese ganz und gar B
unberücksichtigt lässt. Man muss der idealistischen Weltanschauung
zugestehen, dass sie es war, welche längst auf diese Thatsachen in
ihrer Methaphysik hinwies, wenn sie dieselben auch vielleicht nicht
richtig zu erklären vermochte. Allein es geht ja in allen positiven
Wissenschaften so, dass zuerst die Thatsachen constatirt sein müs-
sen, ehe eine immer genügendere Erklärung versucht werden kann.
Die eigenthiimliche Erklärungsweise des Idealismus dagegen fin-
 
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