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Carus: Organon der Erkennlniss.

Problem nicht einfach fasst, geht er an allen diesen Fragen vorbei
und wird nur von dem Vorurtheil der spekulativen, idealistischen
Philosophie getrieben, in dem Gefühle ein Gefühl des Allgemeinen,
Idealen zu suchen, was ihm denn auch unter grossen Nöthen, d. h.
mit gehöriger Willkür gelingt. Das Allgemeine oder die Idee soll
prometheisch schaffend in der anorganischen Welt durch magnetische
Anziehung wirken p. 22; in der Pflanze mit dunklem, bewusstlosem
Selbstgefühle bilden; in dem Thiere aber, je schärfer die Absonde-
rung von dem allgemeinen Leben ist, desto reifere Organe schaffen,
um die Beziehung zum All wieder herzustellen p. 25, welche sich
bei dem Menschen bis zu einer Erkenntniss der idealen Welt stei-
gern soll. Da die Sinne aber nach der oben von Carus angeführ-
ten Ansicht nicht in die Ideen vordringen können und diese doch er-
kannt werden sollen, ruft Carus die aussergewöhnlichen Zustände
eines visionären Gefühles zu Hülfe p. 27. 29, welches durch mag-
netisches Schauen eine unbewusste Anfühlung der Wahrheit erlan-
gen soll p. 34. Während daher „der trennende Verstand allen Glauben
an die Wahrheit der Sinnesvorstellungen zu vernichten schien, bringt
uns das höhere schauende Vermögen der Vernunft zur Ueberzeugung,
dass ja die Sinne immer nur etwas Sekundäres seien und es eine
höhere Wahrheit und Wesenheit gebe, die die Entwickelung von
Sinnesorganen selbst überhaupt erst bedinge.“ — Wie wenig über-
zeugend ist es aber, wenn Carus die thatsächliche Objektivität unserer
Sinnen- und Verstandeserkenntniss erst durch den aussergewöhnlichen
Zustand des visionären Gefühles erklären, und uns auf diesem Weg
in das Reich der ewigen Ideen führen will; wie unpassend, das Ge-
wöhnliche von dem Ungewöhnlichen abhängig, das Bekanntere aus den
Unbekanten begreiflich mach zu wollen 1 — Dazu ist auf eine unglaub-
liche Weise Vernunft, Verstand, Vision und Gefühl durch einander gewor-
fen, und vor allen Dingen nirgend ein Einblick in die erkenntnisstheore-
tischen Vorgänge gegeben, weder in die, welche uns die Erkenntniss der
Idealwelt ermöglichen, noch in die, welche Objektivität in unsere Wahr-
nehmungen und Begriffe bringen. Daher ist weder das empirische
Erkennen scharf bestimmt und in seiner Einseitigkeit widerlegt, noch
die Nothwendigkeit und die Bedeutung der Spekulation bewiesen.
Wie beweist aber Carus seine Meinung, dass das Gefühl die
unmittelbare Wahrnehmung corrigire und eine Erkenntniss der idea-
len Welt vermittle? Ist das Gefühl nicht gerade derjenige Faktor,
welcher die Sinnenerkenntniss trübt und zweifelhaft macht? Nun
soll dasselbe Gewissheit hineinbringen, soll höhere Vernunftanschauung(
bewirken. Aber wie ? das fragen wir freilich vergeblich. Der Stand-
punkt des Verfassers ist dogmatisch. Er ahnt in den Gefühlen eine
höhere, geistige Welt des Guten, Wahren und Schönen, ohne uns
Rechenschaft zu geben, wie dieselbe zu denken sei und ohne die Natur
des Gefühls tiefer zu untersuchen; sondern wie bei Jakobi wird auch
für ihn das Gefühl nur das Organ, um eine übersinnliche Erkenntniss
zu vermitteln p. 36. Während aber der Standpunkt Jakobi’s ein-
 
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