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Gaupp: Lex Francorum Chamavorum.

freien Entschlüsse, ihrem willkühr liehen Belieben (judicium)
abhängt; zweitens, dass diese Person durch ihre aus freier Selbst-
bestimmung hervorgehende Erklärung (verbum) anderen Personen
Rechte zutheilt, oder Verbindlichkeiten gegen sie ein-
geht, welche ausserdem ni cht oder doch nicht in gleichem
Maasse, begründet sein würden: drittens, dass die Erklä-
rung, welche die beiden vorgedachten Erfordernisse hat, vor Ge-
richt mit gewissen Feierlichkeiten und Symbolen (fistuca)
geschehen muss, und daher auch eine mitwirkende, geneh-
migende, bestätigende Thätigkeit (autoritas) des Ge-
richtes dabei statt zu finden hat; so zwar, dass das Gericht seine
Genehmigung des solchergestalt geschlossenen Recbtsgeschäftes
in der Art ertheilt, dass es das nunmehrige Bestehen einer rechtlich
klagbaren Verbindlichkeit des Promittenten in der Form eines
Urtheils (iudicare) wirklich ausspricht und somit dem gelobten
Versprechen gleichsam den Charakter einer res judicata beilegt. Hier-
aus erhellet von selbst, warum eine solche vor Gericht gelobte
und von diesem bestätigte Verbindlichkeit oder Rechtseinräumung
sofort für einseitig unwiderruflich gelten musste. Wo eine Person
eine Erklärung der vorbeschriebenen Art vor Gericht abgibt, spricht
sie gleichsam in der Form eines Gelöbnisses, einer Sponsio, zuerst
in eigener Sache ein Urtheil (iudicat), eben so wohl wie das Ge-
richt, welches hier dieses von dem Promittenten zuerst gesprochene
Urtheil durch sein nachfolgendes Urtheil eigentlich nur für voll-
zugsreif erklärt. Dass aber „judicare“ diese Bedeutung einer
vor Gericht erklärten Sponsio, also die Bedeutung von adhramire
oder promittere in den Quellen des deutschen Rechtes wirklich
hat, lässt sich durch zahlreiche Stellen nachweisen: namentlich
finden sich häufig die Ausdrücke: de rebus suis judicare, pro anima
judicare, judicium ferre de rebus suis und dergl. in den lombardi-
schen Landrechts- und Lehnrechtsquellen, so wie im westgothischen
Rechte (vergl. meine deut. St. und R.Gesch. 2. Aufl. 1847. Bd. II.
Abth. II. §. 115 Nr. 9. u. 13); sämmtlich gleichbedeutend mit dem
lombardischen „res suas thingare“ (L. Rothar. c. 390; a Vesme
c. 367), und dem „verbum dicere de fortunci sua“ in der L. Sal.
emend. 48 de affatomie, in der Bedeutung: einem seine Erbschaft
durch gerichtliche Erklärung versprechen, und vermittelst der da-
mit verbundenen Investitur unwiderruflich zusichern. Woferne daher
das Wort adhramire mit judicare für gleichbedeutend gebraucht
würde, könnte darin kein Beweis gefunden werden, dass „adhramire“ b
somit überhaupt, oder auch nur ausnahmsweise in gewissen Satz-
verbindungen eine andere Bedeutung habe oder haben könne, als
die „in judicio spondere“; sondern es würde hieraus zufolge der
gegebenen Nachweisungen nur das folgen, dass das Wort „iudicare“
in der mittelalterlichen Latinität zwei Bedeutungen hat: erstlich die
von „Urtheilen als Richter“, und zweitens die: ein gericht-
liches Gelöbniss ablegen.
 
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