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Nr. 54. HEIDELBERGER 1857.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.

v. Knesebeck: Ferdinand Herzog v. Braunschweig.

(Schluss.)
Das Benehmen der Russen in Schlesien (1758. Jul.) empört
den König noch stärker als das der Franzosen. „Sie haben, schreibt
er an Ferdinand, daselbst geplündert und solche Gräuelthaten ver-
übt, wie sie nur die grausamste und unerhörteste Barbarei den wil-
desten und rohesten Menschen einflössen konnte“ (S. 160). Was
diese jedoch mehr aus brutaler Zerstörungslust thaten, ging bei den
Franzosen hin und wieder aus berechnendem Raffinement hervor.
So empfahl 1758 der in Versailles noch immer sehr einflussreiche
Herr von Belleisle dem Marschall Contades, aus den Ländern der
verbündeten Fürsten so viel Geld, Getreide, Pferde und Menschen,
als nur immer möglich, zu erpressen, und die ganze Länderstrecke,
welche sich bis zum Eintritte des Winters noch zwischen der fran-
zösischen Armee und derjenigen der Verbündeten befinde, in eine
völlige Wüste umzuwandeln. Nur der Weg, auf welchem man
muthmasslich dem Feinde in die Winterquartiere einfallen werde,
möge verschont bleiben (S. 424). Dieser saubere Plan eines wirk-
lichen „Culturbarbaren“ (barbare cultivateur), welcher keine Karte
Europa’s ohne Gedanken an Umgestaltung betrachten konnte, kam
jedoch nicht zu Stande; Ferdinand’s Sieg bei Minden (1. Aug.),
welcher in dem Briefwechsel genau beschrieben wird, fuhr dazwi-
schen. Auch mochte Contades bedenken, dass die Zeiten der ähn-
lich handthierenden Sueven und Skythen vorüber seien, der Urhe-
ber des Raths aber an die unheimlichen Mondscheinnächte denken,
in welchen ihn einst im Erbfolgekrieg die Oesterreicher von Prag
bis über die Gränze hinaus fortgescheucht hatten. Dass aber nichts-
destoweniger der de Belleisle grimmig blieb, beweist eben die obige,
von den Verbündeten aufgefangene Instruction an den Marschall
Contades. Das alles ist jetzt gerade ein Jahrhundert alt und mag
dem Teutschen Michel nicht besonders tröstlich vorkommen, zumal
er nach dem Wink seiner Obern hier die Schlacht bei Leipzig feiern
und dort die St. Helenamedaille verschlucken soll. Beides zugleich
gehet doch nicht. —
Ein helles Licht trifft übrigens, wie sich voraussehen lässt,
rücksichtlich der Charakteristik besonders die zwei Hauptfiguren, den
Herzog und König. Jener erscheint trotz seiner Jugend äusserst
bescheiden, vorsichtig, besonnen und zur Defensive geneigt, dieser,
wie gewöhnlich, genial, feurig, zur Offensive aufgelegt, heiter, im
L. Jahrg. 11. Heft. 54
 
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