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Ur. 5. HEIDELBERGER 1870.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.

Sanela Agnes. Provenzalisches geistliches Schauspiel herausgegeben
von Karl Bartsch. Berlin. Verlag von W. Weber. 1S69.
XXXII und 76 Seiten Octav.
Von den mancherlei Früchten, die Bartsch auf seiner neu-
lichen italienischen Reise gesammelt haben wird, (möge er uns
recht bald eine Uebersicht seiner ohne Zweifel reichlichen Lese
mittheilen!) bietet er uns hier eine so schöne, so willkommene,
dass wir den übrigen mit grösstem Verlangen entgegen sehen
müssen. Zu den bisherigen Arbeiten auf dem Felde der proven-
zalischen Litteratur, durch welche sich Bartsch seine hervorragende
Stelle auf derselben erworben, so wie das Studium und die Kennt-
niss jener so bedeutend gefördert hat, fügt er hier eine andere
von nicht minderm Werth. Er hat nämlich in der Bibliothek des
Fürsten Chigi zu Rom in einer lateinischen Mischhandschrift aus
dem 14. Jahrh. das vorliegende Schauspiel entdeckt, welches, ob-
wohl nicht eben in die beste Zeit der provenzalischen Literatur
fallend, doch eine besondere Wichtigkeit dadurch erlangt, dass es
eine in ihr bisher vorhandene Lücke ausfüllt und zeigt, dass auch
das Drama dort nicht ohne Pflege geblieben ist; dass es sich hier
von einem geistlichen Schauspiel handelt, versteht sich von selbst.
Es gehört, wie der Herausgeber wahrscheinlich macht, dem näm-
lichen Jahrhundert an wie die Handschrift selbst; er erkennt dies
besonders an gewissen metrischen und grammaticalischen Erschei-
nungen, so wie an der Behandlung der Reime, welche Puncte er
sämmtlich mit der ihm eigenen Schärfe und umfassenden Sach-
kenntniss erörtert, so wie er auch eine orthographische Eigenthüm-
lichkeit der HS. dazu benutzt, um zu dem an anderer Stelle
weiter zu erörternden Resultat zu kommen, dass „eine doppelte
Aussprache das provenz. j angenommen werden muss, einmal wie
das ital. gi in gioja, anderseits wie unser deutsches j in dem-
selben Worte, so dass prov. joja die beiden Arten der Aussprache
in sich vereinigt.“ — Abgesehen von der bezeichneten sprachlichen
Seite ist aber das vorliegende Denkmal auch noch litterarhi-
storisch wichtig durch die darin enthaltenen mit Musiknoten ver-
sehenen Gesänge, welche nach den Melodien zu jener Zeit bekannter
provenzalischer Lieder gedichtet sind. Unter den genannten Ori-
ginalen befinden sich theils geistliche, wobei auch einige lateinische,
theils weltliche volksthümliche, und dies sind glücklicherweise die
zahlreichem, obgleich allerdings zu bedauern ist, dass uns in dem
Drama von fast allen diesen nur die Eingangsverse geboten wer-
LXIII. Jahrg. 1. Heft. 5
 
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