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JAHRBÜCHER DER LITERATUR.


Die Sage von Tanaguil. Eine Untersuchung über den Orientalismus
in Rom und Italien. Von Dr. J. J. Bachofen, Professor in
Basel. Heidelberg. Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C.
B. Mohr. 1870. LV 1 u. 356. 8.
Es wird nicht leicht Jemand in Abrede stellen, dass kein Zweig
der römischen Alterthumskunde bisher weniger erforscht worden
ist als die Religion. Der Grund liegt theils in der Natur der Sache
selbst, theils in äusseren Verhältnissen. Wenn der Glaube als die
innerlichste aller geistigen Thätigkeiten sich schon an und für sich
der Betrachtung entzieht, so haben wir gerade in dieser Beziehung
die allergrössten Verluste zu beklagen. Denn abgesehen von dem
Festkalender Ovids, der die darauf bezüglichen Fragen mehr ver-
wirrt als dieselben löst, ist das Hauptwerk Varros die sechszehn
Bücher »de antiquitatibus rerum divinarum« verloren gegangen, so
dass wir uns nur aus einzelnen Anführungen bei Dionysius und
bei den Kirchenvätern eine Vorstellung von der Grösse dieses Ver-
lustes bilden können. Nicht minder bedeutend würden die Bücher
Hygin’s de penatibus und de proprietatibus deorum gewesen sein
und um der annosa volumiua vatum und der reichen Literatur der
priesterlichen Genossenschaften, der Commentarii poutificum, der
libri augurales, der libri sacrorum und caerimoniarum nicht zu ge-
denken, ersehen wir aus den dürftigen Auszügen des Festus, wel-
cher Schatz alterthümlicher Gelehrsamkeit in dem Werke des Ver-
rius Flaccus verborgen war. Sind wir daher hinsichtlich der Lite-
ratur auf einzelne abgerissene Notizen beschränkt, so bietet der
Gegenstand an und für sich bedeutende Schwierigkeiten. Bei der
vorherrschenden Geistesrichtung der Römer versteht sich von selbst,
dass die Gestaltung des Cultus und der Religion überhaupt mit
der Gesammtentwickelung des Volks in engster Verbindung steht,
und dass wenn auch starres Festhalten des Rituals und der äussern
Form der Gottesverehrung Gesetz war, dann doch die Deutung und
richtige Auffassung, überhaupt das Dogma grossen Veränderungen
unterworfen war, und dass das Verstäudniss uralter Gebräuche dem
Bewusstsein des Volkes entging. Es kam hierzu die Geneigtheit
der Römer fremde Culte aufzunehmen, wenn sie der Wohlfahrt
des Staates förderlich erschien, wie die Verehrung der Juno
Regina, des Vertumnus, des Aesculapius, der Cybele und so vie-
ler anderen Gottheiten beweist. Es schien eben erspriesslich, die
göttliche Macht, welche sich bei irgend einem Volke als hülfreicb
erwiesen, den Interessen des römischen Staates dienstbar zu machen.
LXIII. Jahrg. 3. Heft. 15
 
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