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Historische Vierteljahrsschrift — 1.1898

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Nachrichten und Notizen
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https://doi.org/10.11588/diglit.58935#0485
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Nachrichten und Notizen. 471
seine gesamte wissenschaftliche Thätigkeit durch die Aufgaben bestimmt
worden, die ihm die Historische Kommission gestellt hat, oder die er sich
selbst durch die Kommission als eines ihrer hingebendsten und ihre Zwecke
am eifrigsten verfolgenden Mitglieder stellen liess. Die Art der Verwertung
des archivalischen Materiales für die Geschichte des 17. Jahrhunderts hat
Stieve im IV., V. und VI. Bande der „Briefe und Akten zur Geschichte des
dreissigjährigen Krieges“, welche die Politik Bayerns von 1591—1609 be-
handeln, mustergiltig festgestellt, die Methode, die sich aus seiner um-
fassenden Kenntnis der diplomatischen Kanzleien, der Höfe, der politisch
thätigen Persönlichkeiten und des Zeitgeistes ergeben hat, wird heute als
die anerkannt verlässlichste und richtigste bei den meisten ähnlichen Publi-
kationen angewendet und wird überall in Kraft bleiben müssen, wo es sich
darum handelt, das Wesen der politischen Anschauungen und Unternehmungen
einer Zeit bis auf den Grund aufzuklären und verständlich zu machen. Um
den Stoff dieser Bände, die in nächster Zeit durch das von Stieve nahezu
druckfertig hinterlassene Manuskript für den VH. und VHI. Band vermehrt
werden dürften, bewegen sich zahlreiche Abhandlungen und Einzel-
darstellungen, in denen die Geschicklichkeit in der Sammlung der für eine
geschichtliche Erscheinung massgebenden Denkmäler noch weit zurücktritt
vor der Schärfe der Beurteilung, vor der Kunst, die wahren Absichten der
Politiker aus ihren geschraubten Erklärungen und vorsichtigen Mitteilungen
herauszuspüren. „Ihr könnt nicht lesen“ war der von Stieve am häufigsten
gegen seine engsten Fachgenossen erhobene Vorwurf, mit gerechter Ent-
rüstung, häufiger aber mit seinem unvergleichlichen Humor hat er die
Praxis jener grossen und kleinen Forscher getadelt, die sich damit be-
gnügten, mit einem aus irgendwelchem Faszikel herausgerissenen inter-
essanten Stück Staat zu machen und dem gläubig bewundernden Leser
Sand in die Augen zu streuen. In diesem Punkte hat jeder von ihm lernen
können, der überhaupt lernen wollte, denn es giebt gegenwärtig keinen
Herausgeber und Bearbeiter von Archivbeständen, der sich rühmen dürfte,
Stieve in der Kunst des Aktenlesens gleichgekommen zu sein.
Stieves Arbeit, so peinlich genau und umständlich sie ausgeführt wurde,
war eben immer durchgeistigt, er hat keinen Auszug niedergeschrieben,
keinen Brieftext ab drucken lassen, dem er nicht eine bestimmte Bedeutung
zumessen konnte, deren er nicht zu der Vervollständigung der Charakter-
bilder bedurfte, aus denen er die Ereignisse abzuleiten bestrebt war.
Schon im „Kampf um Donauwörth“, dem „ersten Buche zur Geschichte des
Ursprungs des 30jährigen Krieges“ (1875), noch mehr aber in dem ersten
darstellenden Bande des „Oberösterreichischen Bauernaufstandes des
Jahres 1626“ (1891), am grossartigsten aber in den Artikeln der „Deutschen
Biographie“, namentlich in den Darstellungen Maximilians, des ersten Kur-
fürsten von Bayern. Kaiser Rudolf H., Lamermainis, dann in den Nekro-
logen Döllingers, Max Lossens, ja selbst in der „Charakteristik der katho-
lischen Abteilung“ (des preussischen Ministeriums), in welcher er dem
Fanatiker Linhof die edle Gestalt seines eigenen tief gläubigen, aber
innerlich wahrhaftigen Vaters gegenüberstellt, entfaltet sich eine Kraft der
psychologischen Ergründung und der Menschenschilderung, der wir in der
 
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