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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 28.1917

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Weidenmüller, H.: Brauchen wir einen deutschen Stil?
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https://doi.org/10.11588/diglit.10024#0082

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58

INNEN-DEKORATION

ARCH. F. A. BREUH AUS. AUSF: GEBR. RÖTTGER

»KAMINNISCHE IM RAUM EINES SAMMLERS«

BRAUCHEN WIR EINEN DEUTSCHEN STIL?

Es könnte angesichts der großen politischen Ereignisse
und Bestrebungen unserer Zeit nebensächlich, ja
unzeitgemäß genannt werden, wenn man jetzt in Kunst
und Kunstgewerbe diese Frage auf wirft und erörtert, das
ist sie aber doch nicht so ganz, wie es auf den ersten
Blick scheinen möchte. Das Stilgefühl ist ein Teil der
Volksseele und in dem, was das Kunstgewerbe jetzt und
in Zukunft in Deutschland hervorbringt, wird sich natur-
gemäß die Einwirkung der politischen Ereignisse wider-
spiegeln, wenn die deutschen Künstler unbeeinflußt von
Modeströmungen aus eigenstem Empfinden heraus arbeiten.

Seit langem haben wir keinen eigentlich deutschen
Stil in unserm Kunstgewerbe, besonders in Geweben und
verwandten Techniken, Stickereien usw., ausgenommen
die wenigen Uberreste althergebrachter Techniken ein-
zelner Landesteile (auf die hier nicht näher eingegangen
werden soll, weil sie ein besonderes Kapitel bilden). Der
Grund ist sehr einfach: Nachdem vor ungefähr 70 Jahren
denkende Künstler und Gewerbetreibende die herrschende
Stillosigkeit einsahen und, um sie zu bekämpfen, Vor-

bilder früherer Zeiten und Erzeugnisse anderer Länder
empfahlen, hat das Kunstgewerbe in rascher Folge die
Geschmacksrichtungen von vier Jahrhunderten sozusagen
durchprobiert: Gotik, Renaissance, Barock, Rokoko,
Biedermeierzeit, ohne sich für eine dauernd zu entschei-
den und was schließlich als Endresultat dieser Revue als
Produkt unserer neuen Zeit herauskam, der sogenannte
Jugendstil hat sich auch nicht halten können, weil er eben
etwas absichtlich gesuchtes Neues war, im Gegen-
satz zu früher den Forderungen der Schönheitsregeln
Entsprechendem, er war aber nicht aus einem inneren
Drang und Bedürfnisse der Volksseele erwachsen, des-
halb nicht lebens- und entwicklungsfähig. Man war
eben zu sehr ins Nachahmen gekommen und hatte
deshalb die Fähigkeit, innerlich Empfundenes und Er-
lebtes darzustellen, verloren.

In gewisser Hinsicht ist ja die bildende Kunst und
auch das Ornament immer eine Wiedergabe von etwas
Vorhandenem, denn auch das Gebild der Phantasie ist
der Ausdruck von etwas innerlich Geschautem und dies
 
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