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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 28.1917

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Pabst, A.: Die Erziehung zur Form, eine Forderung des Tages
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https://doi.org/10.11588/diglit.10024#0137

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INNEN-DEKORATION

117

Mangel an Formensinn festgestellt hatte. Sie hatten keine
Empfindung für die Form und wußten nicht, was für eine
Bedeutung sie hat. Er zeigt ihnen Baumkronen und läßt
sie durch Beobachtung fin-
den, wie sich in diesen
Naturgebilden die Form-
gesetze ausprägen. Unsere
nordische Eiche ist ein
gutes Beispiel dafür. Durch
Jahrhunderte hindurch hat-
te sie den Kampf mit Wind
und Wetter zu bestehen,
und dieser unaufhörliche
Kampf wirkt bestimmend
auf den konstruktiven Auf-
bau der Baumkrone ein
und kommt schließlich in
der Stellung jedes Zweiges
und jedes Blattes zum Aus-
druck. Auf der Seite, wo
Sturm und Wetter den
Baum am heftigsten an-
greifen, da schließen sich
die Äste in anderer Hal-
tung zusammen als dort,
wo die Sonne oder ein
künstlicher Wetterschutz
den Baum zur Ausbreitung
locken. Die lebendige
Form wird hier im Kampfe
ums Dasein geprägt; sie
entwickelt sich unter ge-
gebenen Bedingungen und
aus gegebenen Anlagen;
sie erhält unbeschadet der
Anpassung an die Lebens-
bedingungen die eigne Art
und die überlieferte Kraft
und überdauert im Wandel
der Zeit viele Geschlech-
ter der schnell dahinsinken-
den Menschheit. Goethe
hat das in seinen »Urwor-
ten« unnachahmlich schön
ausgedrückt: »Und keine
Zeit und keine Macht zer-
stückelt — Geprägte Form,
die lebend sich entwickelt«.
Uns aber wird die Eiche
zum Sinnbilde lebendiger,
innerlich beherrschter und
nach außen sieghafter
Kraft. Was könnten wir
sein und leisten, wenn in
uns der Wille zur Form in
gleicher Weise wie am
wachsenden Eichbaume
zur Geltung käme! — Der
Ernst unserer Zeit zwingt
uns zur Einkehr und Be-
sinnung. Heute, wo wir

Deutschen gegen eine Welt von Feinden unter den
Waffen stehen, können wir an der Frage nicht vorüber
kommen, ob wir nicht mehr tun können und tun müssen,

PROFESSOR E. R. WE1SS-BERL1N. »DEKORATIVES WANDGEMÄLDE«

um unsere deutsche Form, unser nationales Gepräge zum
Ausdruck zu bringen, so scharf und klar, wie es gegen-
über anderen Völkern notwendig ist, ohne doch diese

herauszufordern und da-
durch Friedensstörer zu
werden. Es ist bemerkens-
wert, daß uns von ver-
schiedenen Seiten und zu
verschiedenen Zeiten die
entgegengesetztestenCha-
rakterfehler zum Vorwurf
gemacht worden sind. Ein-
mal warf man dem Deut-
schen vor, daß er sein
Volkstum im Auslande
ohne weiteres verleugnet
und vergißt, ein ander
Mal, daß er damit prahlt
und herausfordert, wie mir
einmal in Amerika von
einem, es wohlmeinenden
Manne deutscher Abstam-
mung gesagt wurde: Wo
drei oder vier Leute zu-
sammen sitzen und sich
durch ungewöhnlichen
Lärm oder das provozie-
rende Singen nationaler
Lieder unnötigerweise be-
merklich machen, sind es
sicher Deutsche. — Un-
mittelbar vor dem Aus-
bruch des Krieges hat der
Reichskanzler in einem
Briefe an den inzwischen
verstorbenen Historiker
Karl Lamprecht betont,
daß der Deutsche im Aus-
lande im allgemeinen nicht
das Vermögen besitze,
seine Heimat vorteilhaft
abzubilden. Wer viel im
Auslande gereist ist, kann
dem Kanzler leider nicht
unrecht geben; der Eng-
länder und der Franzose
treten als Typen im allge-
meinen bestimmter und
vielleicht auch vorteilhaf-
ter in die Erscheinung, als
der Deutsche. Diese Tat-
sache werden wir nicht
ohne weiteres aus der Welt
schaffen können, auch nicht
durch den endgültigen Sieg
in dem großen Völker-
kampfe. Der Gewalt und
Macht allein dürfen wir
hierbei nicht vertrauen;
auf diesem Wege werden
wir die endgültige Herr-
schaft über andere Völker nicht erreichen. Dies muß
vielmehr auf dem Wege der Entwicklung von innen
heraus und durch die Entfaltung schöpferischer Kräfte
 
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