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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 28.1917

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Pütz, Friedrich: Die Überschätzung des Zeichnens: ein Beitrag zur Frage der künstlerischen Berufsberatung
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https://doi.org/10.11588/diglit.10024#0214

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194

INNEN-DEKORATION

ARCHITEKT LUC1AN BERNHARD—BERLIN »DAMENZIMMER MIT EINGEBAUTEM BETT«

DIE ÜBERSCHÄTZUNG DES ZEICHNENS

EIN BEITRAG ZUR FRAGE DER KÜNSTLERISCHEN BERUFSBERATUNG

Ein viel zu wenig gewürdigter Entwicklungsfaktor ist
der Zweifel. Der Zweifel als Kritik und Läuterungs-
element nicht nur am Erreichten, sondern mehr noch am
Erstrebten, zumal wenn dies durch ein mundgerechtes
Schlagwort zur Fiktion einer gläubigen Menge wird. Das
scheint bei der neuen Maxime »freie Bahn allen Tüch-
tigen« bereits der Fall zu sein. Die Zweifel an ihrer
sinngerechten Verwirklichung ergeben sich einmal aus dem
leicht übersehenen Umstand, daß jede Entwicklung gegen
das Beharrungsvermögen ihres vorhergehenden Stadiums
zu kämpfen hat. Eine noch viel größere Schwierigkeit
liegt in der Frage, wer ist der Tüchtige und wer ist zur
Auswahl berufen? Hier wird das zähe Beharren und die
Enge unserer Standes- und Bildungskonvention Stein des
Anstoßes sein. Aber nationaler Selbsterhaltungstrieb
wird uns zwingen, ungeachtet der Grenzen menschlichen
Vermögens, zukünftig eine rationellere geistige Schatz-
hebung zu betreiben, die aus dem unerschöpflichen Born
des Volksganzen latente Kräfte hervorholen und sich frei
und ohne Hemmung entwickeln lassen wird.

Die erfolgreiche Erfüllung dieser sozialpolitischen
Aufgabe hat aber zur Voraussetzung, daß die Zuführung
des Einzelnen zu den Berufsarten nicht von irgendwelchen
Willkürlichkeiten oder eingewurzelten Anschauungen ab-

hängig ist, sondern daß sie vielmehr als bisher auf Grund
psychologischer Methoden erfolgt. Man hat von einer
»Psychologisierung der Berufswahl« gesprochen. Dabei
wird es sich einerseits darum handeln, die geistigen An-
forderungen der einzelnen Berufsgruppen genau festzu-
stellen, andererseits die geistigen Fähigkeiten des An-
wärters zu untersuchen und ihm seiner besonderen Eignung
gemäß zu raten. Die Intelligenzprüfung ermöglicht schon
beim jungen Menschen ein Urteil über die Allgemein-
begabung. Auch die Feststellung der Sonderfähigkeiten
muß wissenschaftlicher Methode unterliegen. War bisher
die Auslese dem freien Spiel der Kräfte überlassen, so
muß an Stelle solcher unwirtschaftlichen Mechanik ein
durchdachtes großzügiges System treten.

Diese idealen Möglichkeiten schließen natürlich nicht
denZ weif elaus.obdieBerufsberatungnun praktisch imstan-
de sein wird, die in sie gesetzten Erwartungen zu erfüllen.

Am meisten wird man sich von der negativen Auslese
versprechen dürfen. Und in der Tat kann die Berufs-
beratung schon allein durch solches Wirken sehr viel zur
Hebung der kulturellen Kräfte beitragen. Einmal, daß
sie von den einzelnen Arbeitsgebieten die hemmend
wirkenden, ungeeigneten Mitläufer fern hält, ferner daß
sie irrige Vorstellungen zu beseitigen sucht, — zumal die
 
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