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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 28.1917

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Zucker, Paul: Formempfinden und Raumgefühl
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https://doi.org/10.11588/diglit.10024#0396

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374

INNEN-DEKORATION

PROFESSOR CARL WITZMANN—WIEN

MARINE-SCHAUSPIELHALLE. VORDERANSICHT

FORMEMPFINDEN UND RAUMGEFÜHL

Das künstlerische Erlebnis, das wir beim Betrachten
eines Bildes oder eines graphischen Blattes haben,
beruht auf dem Zusammenwirken mehrerer psychologi-
scher Faktoren, die alle zum Zustandekommen des ästhe-
tischen Genusses notwendig sind. Wir freuen uns —
und das ist die primitivste Form des Kunstgenusses —
über den Grad der Natürlichkeit, mit dem der dargestellte
Gegenstand wiedergegeben ist, wir freuen uns über die
Art der Farbenzusammenstellung, die in ihrer Gesamt-
heit das ergibt, was man mit einem banalen Wort als
»die farbliche Stimmung« bezeichnet (für das graphische
Kunstwerk tritt an Stelle der Farbenwirkung die Ab-
stufung der Töne und beim reinen Schwarz-Weißblatt
die verschiedene Stärke der Kontrastwirkung von Schwarz
und Weiß), wir genießen die Art der Zeichnung, der
Strichführung, ob sie locker, ob sie spitzig oder streng
und herb ist, und endlich empfinden wir die Form der
Anordnung innerhalb des Rahmens, auf dem Blatt, den
Wechsel zwischen hell und dunkel, zwischen betont und
unbetont, kurz gesagt, die rhythmische Fügung. Der eine
oder andere dieser einzelnen Faktoren wird nun je nach-

dem hervortreten — zum Beispiel die Natürlichkeit
der stofflichen Wiedergabe bei einem niederländischen
Gemälde des siebzehnten Jahrhunderts, die farbliche
Stimmung, die Art der Lichtführung, das Abwiegen der
Valeurs wird das Wesentliche bei einem Bilde eines der
großen Venetianer sein, bei einer Feuerbach'schen Iphi-
genie wird uns zuerst die feine Sicherheit der rhythmischen
Massenverteilung auffallen — doch müssen zur künst-
lerischen Gesamtwirkung bei einem Kunstwerk, das
in der Fläche dargestellt ist, alle diese Faktoren mit-
sprechen. — Anders bei den Künsten, deren Erscheinungs-
form derRaum ist. Hier ist die rhythmische Anordnung,
das Verhältnis der Massen zu einander als solches, das
Wesentlichste. Kommt es bei der Plastik noch auf die
Art der Darstellung an, so ist bei den eigentlichen Raum-
künsten, bei der Architektur und dem Städtebau, jenen
Künsten, die nichts darstellen, sondern in sich selbst
Stoff und Material beschließen, die im Räume und mit
dem Räume selbst arbeiten — so ist hier die Anordnung
und Verteilung der Massen der einzige und beherrschende
Quell ästhetischen Genießens. Bei dieser reinsten Raum-
 
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