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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 41.1930

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Löwitsch, Franz: Dynamik des Wohnens der Neuzeit: und von der Rhythmik des Wohnens
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https://doi.org/10.11588/diglit.10703#0051

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DYNAMIK DES WOHNENS DER NEUZEIT

und von der rhythmik des wohnens

Der »dynamische« Mensch existiert; wir
dürfen neugierig sein: wie er wohnen wird.
Mit sporttrainiertem Körper und Geist, beweglich,
die Bewegung bejahend, liebend und suchend;
wie kann der wohnen? . . Fast scheint da ein
Widerspruch, denn ist Wohnen nicht »Ruhe«? . .

Der Mensch des »energetischen Raum-Empfin-
dens« kommt, der den Raum nur durch die Be-
wegungs-Empfindungen aller seiner Sinnes-
und Muskelfasern erfährt, ihn nur durch Bewegung
kennt und gestaltet. Die Formen der »dynamischen
Architektur« sind Symbole für sein Kommen.
Auf zwei Arten wird er die Wohnung beein-
flussen; denn Bewegung ist zweierlei: 1. Zu-
stands-Änderung, in der Zeit, 2. Orts-Verän-
derung, im Raum, — räumliche Bewegung. . .



Bewegung ist erstens: Veränderung des
Zustandes, in dem man sich befindet, ohne sich
selbst dabei wesentlich zu verändern; also: Ver-
änderung der Umwelt, der Umgebung, des Raumes,
seiner Gestalt, seiner Maße, Proportionen, Farben,
Helligkeit und seiner sonstigen sinnlichen Quali-
täten. . . Wir sitzen im Klubsessel, drücken auf
einen Knopf: der Raum bewegt sich, verändert
sich, wird hell, dunkel; kalt, warm; weit, eng; offen,
geschlossen. Wir verzichten auf den starr gebauten
Raum, wir wollen heute ihn und alle seine Teile
leicht, beweglich; leichte Wände mit modernsten
Mitteln: Glas, Metall, bewegliche Wände. Kon-
struktionen, durch die der Raum nach Belieben
ganz geöffnet oder ganz geschlossen werden
kann, Wände, die verschoben, versenkt, gehoben,
gedreht, gerollt werden können, mit ebensol-
chen Vorhang-Garnituren; Materialien wie Leicht-
metall, Folien und lichtdurchlässige Gewebe: bieg-
sames, durchsichtiges Material; überhaupt: mehr
»texlile« Konstruktionen — aber unverbrennbar,
hygienisch, fäulnisfremd, wie Metallgespinste;
Dinge, die nicht mehr Utopien sind, sondern die
bereits im wesentlichen die Technik gefunden hat.

In solchen Räumen ist der Mensch »Regisseur«,
der den Mechanismus in BeweguDg setzt, entspre-
chend den Bedürfnissen des täglichen Lebens.
Als Folge der Umwelts-Anderung von Tag zu
Nacht, von Winter zu Sommer, als Folge der Tätig-
keit, Arbeit des Bewohners, als Folge seiner
wechselnden Gemüts-Einstellung braucht er einen
Raum, der diesen Veränderungen willig folgt. .

Bewegungist zweitens: Orts-Veränderung.
Der Mensch lebt, arbeitet, ist tätig im Raum, den
er als Regisseur seinem Wunsch gemäß inszeniert
hat; er bewegt sich, weil erinnerlich will, aus trieb-
haftem Drang nach Bewegung und Tätigkeit. . Der
aktiv-dynamische Mensch kommt zum Vorschein;

er erlebt und gestaltet den Raum durch Bewegung
und aus den Spannungen des Raumes kommen
Impulse zur Bewegung. Indem der Mensch ihnen
folgt, genießt er sie, mit ihnen den Rhythmus des
Raumes. Die Bewegung wird zur Lust, wenn sie
impulsmäßig ablaufen kann; sie wird zur Qual,
wenn sie von Kanten und Widerständen im Räume
gehemmt wird, wenn sie den individuellen Bewe-
gungs-Gewohnheiten nicht entspricht.. Leben ist
Bewegung. Auch der Teil, der sich in der Woh-
nung abspielt: bestimmt durch die Zwecke der
Tätigkeit, durch die Bewegungsgesetze des rhyth-
misch organisierten Körpers, durch die individu-
ellen Bewegungs-Impulse des Bewohners......

Man verwendet heute immer häufiger die »Be-
wegungs-,Gang-Linien« zur Grundriß-Ermittelung.
Der Grundriß, der »kürzeste« Wege, die einander
nicht überschneiden, ermöglicht, soll der bestesein.
Die Methode kann aber nicht ausreichen! Denn
wenn der kürzeste Weg wirklich der rationellste
wäre, so müßte folgerichtig ein Tisch so hoch sein,
daß etwa Oberkante Suppenteller in Mundhöhe
läge, was bekanntlich nicht stimmt. Das Problem
ist nicht gelöst, wenn man den Bücherkasten in
Reichweite des Schreibtisches stellt; diese und
ähnliche Rationalismen sind falsch; denn sie führen
in ihre Rechnung einen »mechanischen Menschen«
ein, — aber nicht den wirklichen, der alle seine
Bewegungen aus seelischen Impulsen ausführt, —
und sei es auch nur die Führung des Suppenlöffels.
Im besten Falle führt diese Methode zu einem
Menschentyp, der sein Leben sitzend erlebt, der
seine Bewegungen, mithin sein Leben zu Null re-
duziert. . Daß der Satz vom »Minimum des Weges«
nicht richtig ist, haben übrigens auch Arbeits-
Studien in taylorisierten Betrieben bewiesen. . . .

*

Durch Formen, Maße und Proportionen der
Räume und Möbel regelt der Architekt dem Be-
wohner den Ablauf der Bewegungen des täglichen
Lebens; von ihm hängt es ab, daß sie gefüllt mit
Rhythmus zum lustvollen Erlebnis werden.. Die
falsche Rationalität macht die Wohnung zur
»Maschine«, — die richtige zum Kunstwerk.
Das ist das Geheimnis aller vollkommenen Räume,
daß wir in ihnen den Menschen sehen, wie er
sich bewegt, wie er lebt. . Der Grundriß eines
Hauses ist »Choreografie«:räumlichaufgeschrie-
bener Tanz, den der Architekt komponiert und
den der Bewohner erlebt. . arch. franz löwitsch.



WENN der Mensch seine Grundeinstellung
zum Leben ändert, so verrät sich die neue
Geisteshaltung zunächst in der künstlerischen und
wissenschaftlichen Schöpfung. . . ortega y gasset.
 
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