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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 41.1930

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Michel, Wilhelm: Modisch und Modern
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https://doi.org/10.11588/diglit.10703#0196

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176

INNEN-DEKORATION

MODISCH U

Der Unterschied zwischen »Modisch« und
»Modern« wird immer in solchen Zeiten be-
sonders deutlich, in denen neue Gestaltungsmotive
und Gestaltungs-Gedanken hervortreten. Denn wo
bestimmte neue Gestaltungen sich herausheben,
da entsteht immer für den Künstler die Notwen-
digkeit, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. . .

Wir denken, daß es menschlich, ja geschöpf-
lich ist, sich neuen Gedanken, die in unserem
Schaffenskreis auftauchen, zunächst willig zu öff-
nen. Das geht uns doch immer ernstlich etwas an,
was unsre Mitmenschen tun und denken. Nenne
man es Nachahmungstrieb, nenne man es sogar
Herdengefühl: ein gesundes Geschöpf fühlt sich
immer angemutet, dasselbe zu tun, was seine Ge-
nossen tun. Das ist eine der tiefsten, wichtigsten
Bestimmungen alles Daseins. Es ist geradezu ein
Zeichen krankhafter Störung, wenn ein Mensch
gar keine Verlockung fühlt, mit den Mitmenschen
im Tun und Denken Fühlung zu halten. Beweis:
die Jagend schließt sich am leichtesten den neuen
Gedanken und Bewegungen an, denn das Leben
ist in ihr noch fließend, beweglich und stark. Dem
starren Alter wird dieser Anschluß immer schwer.

ND MODERN

Für den Künstler, für den Architekten stellt
sich das wichtige Problem, daß die Angleichung
an neue Formgedanken auf eine echte und auf
eine unechte Weise erfolgen kann. Im ersteren
Fall läßt er sich als ganzes Wesen von den neuen
Gedanken ergreifen und wirkt sie als ein von
ihnen erfaßter und bestimmter Mensch aus. Im
letzteren Fall greift er nach dem äußeren, sinn-
fälligen Ornament, nach der neuen Reizform,
beutet sie rasch aus, ohne sich ihre genetischen
Grundgedanken anzueignen, und treibt damit
einen Raubbau, der sich an ihm selbst rächt:
das so entstandene Gebilde veraltet und zerfällt
mit gespenstischer Schnelligkeit...........

Damit sind wir im Bereich des »Modischen«.
Das Modische entsteht durch »Kurzschluß«: das
neue Motiv durchläuft nicht den regulären Strom-
kreis, der über den ganzen Menschen führt. Der
Verfertiger modischer Gebilde setzt sich nicht
ein. Er bleibt mit der Ganzheit seines Wesens
immer beiseite, er kann nie die große Auf-
gabe des Menschen erfüllen: einem neuen Ge-
danken zum echten Organ zu werden und ihn so
realiter in die Historie hineinzuflechten. . . w. m.
 
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