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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 41.1930

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Michel, Wilhelm: Vom Zweckdenken
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https://doi.org/10.11588/diglit.10703#0090

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INNEN-DEKORATION

professor emil fahrenkamp-düsseldorf haupt-treppenhaus. park-hotel in bochum

VOM ZWECKDENKEN

Ist es nicht eine Wahrheit, daß der Mensch (und
die Menschheit) von Epoche zu Epoche aus ver-
schiedenen Kräften seines Wesens leben muß?
Hat das Ende des 18. Jahrhunderts ihn auf seine
Vernunft verwiesen — was ist klarer, als daß ihn
eben an dieser Stelle seiner Bahn nur das zeitlose,
wider das Dämonische gerichtete Denken weiter-
bringen konnte? Hat ihn dann die Romantik wie-
der in Seelen- und Naturtiefen gestürzt — was ist
klarer, als daß er an diesem Punkte nur durch den
großen Rückgriff auf die dunklen Erbschaften zu

seiner Zukunft gelangen konnte?..........

Genau in diesen Zusammenhang gehört es, daß
uns heute aufgegeben ist, eine Zeitlang aus dem
Zweckdenken, aus den rationalen Kräften unsres
Wesens zu leben. Erkennen wir doch an, daß wir
auch im Geistigen bis ins Letzte hinein geschicht-
liche und geschichtsbestimmte Wesen sind; daß
wir niemals mehr vor uns haben als die Aufgabe
des Augenblicks, die wir in ihrer Begrenztheit lösen
müssen, gerade um über sie hinauszukommen, an
neue Probleme heran.. Wirerkaufenunseinreales
Leben immer nur um den Preis, daß wir einwilligen,

mit vollem Einsatz ein augenblickliches, ein
zeitbestimmtes, echt historisches Dasein zu leben.
Gerade wegen dieser notwendigen Einseitigkeit
des realen, zeitgetriebenen Lebens ist es ja so
leicht, ihm immer wieder Einwände aus der Fülle
der anderen, augenblicklich nicht aktuellen Mög-
lichkeiten des Menschen entgegenzuhalten. Aber

was ist mit solchen Einwänden bewiesen?.....

Wer wüßte nicht, daß die Totalität mensch-
lichen Lebens und Bedürfens mit dem Zweck-
denken allein nicht zu erfassen ist? Auch wir
Heutigen werden mit unserem gewagten Vertrauen
auf das Zweckdenken nicht bis an den Rand aller
Zeiten, nicht bis zur Fülle alles Menschlichen
gelangen. Auch wir werden erfahren, daß die Rech-
nung des Menschen niemals ohne Rest aufgeht.
Aber keine dieser Erwägungen wird uns jemals
der Notwendigkeit entheben, mit dem
Zweckdenken Alles zu versuchen, was
uns möglich ist. Denn Wagen, Versuchen ist
unsre Bestimmung; nur so halten wir, mitten
in unsren zahllosen Einseitigkeiten, die Fühlung
mit der großen zentralen Kraft. . wilhelm michel.
 
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