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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 41.1930

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Tietze, Hans: Gestaltete Form und Zeitgeist
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https://doi.org/10.11588/diglit.10703#0171

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INNEN-DEKORATION 151

ARCHITEKT MICHAEL RACHL1S-BERLIN ZIMMER DES SOHNES IM HAUSE Z1SSU

GESTALTETE FORM UND ZEITGEIST

Eine typische moderne Großstadt-Straße, ein
Geschäftshaus oder auch ein Einzelwohnhaus
modernen Charakters sind in ihrer Besonderheit
nicht aus den »Gebrauchs-Zwecken« allein
zu erklären — die ganz gewiß auch andere Formen
ermöglichen würden —, sondern es drückt sich
in ihnen auch eine Großformigkeit des Denkens,
ein Wille zur Organisation, ein Selbstbewußtsein
der Massen aus oder auch das Bestreben, den
vorliegenden struktiven Problemen die »elegan-
teste Lösung« zu verschaffen. All dies sind rein
geistige Elemente, die durch den Ausdrucks-
Willen eines individuellen Schöpfers hindurch-
gegangen sind; und obwohl keineswegs die Her-
stellung eines Kunstwerkes, sondern die eines
allen praktischen Bedürfnissen entsprechenden
Bauwerks angestrebt wurde, so sind doch sehr
wesentliche künstlerische Momente an
der Gestaltung beteiligt. . Bei Bauten der Ver-
gangenheit ist uns das ganz klar. Bei Erzeug-
nissen der Gegenwart erscheinen die Nutzwerke
leicht »überbetont«; erst in die Perspektive der
Vergangenheit gerückt wird sich der künstle-
rische Charakter unserer reinen und vermeintlich
kunstfreien Nutzbauten ebenso deutlich ergeben.

Auch unsere Zeit kann nicht umhin,
selbst wider ihr Wollen und Wissen: — Kunst zu
erzeugen. Denn unter Kunst verstehen wir nicht
nur den schöpferischen Willen des Einzelnen, son-
dern auch den Gestaltungtrieb der Gemeinschaft;
sie ist nicht nur der allerpersönlichste Aus-
druck, sondern auch die allerunpersönlichste
Sprache. . Unter dem einzigen Namen fassen
wir zwei durchaus gegensätzliche Triebe zusam-
men: die Fähigkeit, ein menschliches Gefühl,
das notwendigerweise immer etwas Individuelles
sein muß, in die subtile und einmalige, in
sich vollkommene Form zu bringen, — und die
Einfügung in die Notwendigkeit, alle Gestal-
tung unter einer zwangsläufigen Gesetz-
lichkeit zu vollziehen. Diese polaren Kräfte
sind in jeder von Menschenhand gebildeten Form
in ungleicher Mischung vorhanden; die einsame
Schöpfung des Genies enthält ein Element von
Stilgebundenheit, und die Erzeugnisse von Hand-
werk und Industrie enthalten einen untilgbaren
Rest individueller Schöpferkraft. . Jede gestal-
tete Form hat, ohne Rücksicht auf ihre künstle-
rische Absicht, virtuell am künstlerischen Wollen
ihrer Zeit teil. . . hans tietze (m »die kunst m unsrbr zeit«).
 
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