Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 41.1930

DOI article:
Wenzel, Alfred: Wesen der lebendigen Wohnung: Wir verlangen von ihr "Elastizität"
DOI article:
Geron, Heinrich: Der Weg zur Wohnkunde
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.10703#0283

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
WESEN DER LEBENDIGEN WOHNUNG

wir verlangen von ihr »elastizität«

Wir wünschen uns »lebendige« Wohnungen.
Wann aber ist eine Wohnung, wann ist die
Gesamtheit der DiDge in unserer Wohnung für
uns »lebendig«? Immer nur durch eine Bezieh-
ung auf uns. Und worin besteht diese Bezieh-
ung, wie äußert sie sich? — Immer in einer gewis-
sen »Wirkung« auf uns und unsere eigene Leben-
digkeit, die uns dann anregt, diese Dinge als
unserem Lebenskreise zugehörig zu betrachten.
Wenn wir uns eine lebendige Wohnung wünschen,
so sagen wir damit: daß wir Dinge um uns haben
wollen, die sich uns in ihrer Gesamtheit bezieh-
ungsvoll verbinden. Tun sie es, fühlen wir
ständig jene lebensteigende Wirkung von ihnen
ausgehen, wie wir sie uns wünschen, dann sagen
wir im auszeichnenden Sinne von ihnen, daß sie
»lebendig« sind, daß sie »mit uns leben«. .

*

Von seiner Wohnung hat sich wohl der Mensch
zu allen Zeiten gewünscht, daß sie nicht nur
schützendes Gehäuse gegen die Unbilden des
Wetters sei, sondern mit ihm »lebe«; er hat sie
immer daraufhin angelegt. Daß wir heute so viele
Wohnformen der Vergangenheit, wie sie uns im
Bild oder Original gegenwärtig sind, als »tot«
empfinden, sagt nichts dagegen; es kam immer
nur darauf an, wie man selbst »lebte«.. Die Leben-
digkeit, die man von der Wohnung verlangt, kann
verschieden sein: der Mensch, der seine ganze
Lebensbahn mit steifer zeremonieller Geste durch-
schritt, und für die eigene Grandezza, die er auch
im intimsten Privatleben nicht ablegte, immer
nur Hintergründe, wirkungsvolle Abhebungen
brauchte, fand wohl seine Wohnung »lebendig«
genug, wenn sie ihm diese Ansprüche erfüllte. .

*

Die »Lebendigkeit«, wie sie uns entspricht und
wie wir sie uns wünschen, ist von anderer Art.
Sie wurzelt in einem anderen Gefühl, und zwar,
allem Anschein nach, in einem besonderen Gefühl
für das Organische.. Wenn wir »organisch« oder
»Organismus« sagen, so denken wir dabei immer
an: Wachstum, an Entfaltung, Ausbreitung, Ver-
zweigung, Entwicklung. Und alles das schwebt
uns auch vor, wenn wir heute vom Lebendigen,
von der Lebendigkeit der Wohnung sprechen.
Wir fühlen nämlich uns selbst vor allem als
Organismen, als wachsend, in Entfaltung und
Wandlung begriffen, während jene Menschen ver-
gangener Epochen mit ihrer durchaus grandseig-
neuralen Geste sich wohl stets als von bleibend
gleicher Wesenheit empfunden und gegeben haben.
Wir sind anders; uns bedeutet die Wohnung gar
nicht mehr Folie, Hintergrund, wir wollen uns gar
nicht »abheben«, wir wollen uns in einer leben-

digen Beziehung mit ihr verbunden fühlen. Aber
diese Beziehung kann sich für uns auch nur dann
ergeben, wenn die Wohnung in einer besonderen
Anpassung an uns selbst »organisch« gebildet ist.

Wir werden nicht fehlgehen, wenn wir das
eigentlichste Wesen dieser heutigen Anpassung
in einer Art »Elastizität« sehen. Die Wohnung
früherer Zeiten konnte gleichsam als »Rüstung«
angefertigt werden, die ein für alle Mal »saß« und
scheinbar auch nie drückte. Uns wäre sie hinder-
lich und lästig. . Wir brauchen eine Wohnung, die
»Spielraum« hat nach allen Seiten. Sie muß —
mit einem Wort — »nachgeben« können; kann
sie es, dann ist sie wohl lebendig.. Dr. alfred wenzel.



DER WEG ZUR WOHNKUNDE

Ein Wohngebilde, das technisch vollkommen
gebaut ist, ist wohnlich. Ein Haus oder ein
Innenraum, bei denen die Verhältnisse nicht stim-
men, ist in formaler Hinsicht eine Stümperei.. Ein
Wohngebilde kann an sich schön aussehen, das
heißt als Baukörper und in der Lösung des Raum-
bilds ästhetisch ansprechen, ohne wohnlich zu
sein, das heißt funktionell zu taugen. . Daß in der
Wohngestaltung das Handwerks-Können und der
technische Funktionssinn absolute Voraussetz-
ungen sind, schien in Vergessenheit geraten, sodaß
unsere Zeit sie wieder einmal entdecken mußte.
Diese Entdeckung war eine Zeitnotwendigkeit,
denn das Wohnwesen von 1930 ist von dem von
1850 fundamental verschieden. . Das moderne
Wohngebilde muß also zunächst Funk-
tions-Körper sein. Daß eine Sache zweck-
dienlich, funktionstauglich sein solle, sagt schon
der alte Bauernspruch: »Ein Mund nicht fein zum
Kuß / Ein Krug nicht gut zum Guß / Ein Messer,
das nicht schneid't / Sind alle nicht gescheit.« . .
Es steht aber nirgends geschrieben, daß das
Leben eine reine Zwecktümelei, ein lediger Funk-
tions-Ablauf sei. Der Mensch ist ein sensitives
Geschöpf, ein potentieller Dichter: er will nicht
nur wohnen, sondern: wohl wohnen. Ein Wohn-
gebilde kann als Funktions-Gehäuse, als Zweck-
körper erstklassig gelöst sein, und doch zu wün-
schen übrig lassen. Werden einmal auch Häuser
und Heime serienweise hergestellt aus der Fabrik
bezogen, so werden doch ökonomische, ästhe-
tische, psychologische, allgemein vitalistische und
menschlich private Belange der Wohngesittung
weiter bestehen. . Darum ist die Aufgabe der
»Wohnkunde«, die wir hier betreiben: die
methodische Untersuchung und Klarstellung die-
ser recht verwickelten Belange. . Heinrich geron.
 
Annotationen