Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort (41.1930)

BEWEGLICHKEIT ALS ERSCHEINUNG

wir suchen das bewegbar erscheinende, »schwebende«.

Wir wünschen uns heute bewegliche Möbel.
Das ist ein Pleonasmus, denn an und für sich
kommt schon »Möbel« vom Worte »mobile«, das
ist: beweglich, bewegliches Ding. Freilich: Worte
sind eigentlich nur Formen, Hüllen für irgend-
welche Inhalte; diese Inhalte können Wandlungen
erfahren, sie können sich gewissermaßen verselb-
ständigen, und mit dem Wort, das für sich immer
das gleiche bleibt, kann zu verschiedenen Zeiten
ganz verschiedenes gemeint werden; das hat
wahrscheinlich letzten Endes seinen guten Sinn. .

Jedenfalls, wenn wir heute »Möbel« sagen,
so meinen wir auch das »mobile«, das bewegliche
Ding, wir wollen Möbel, die auch — rein dem
Wortsinne nach — wirkliche »Möbel« sind. Daß
wir heute bewegliche Möbel haben wollen, ent-
springt unserem allgemeinen Bedürfnis nach
»Mobilität«. Dieses Bedürfnis steht teilweise im
Zusammenhang mit unserem Sinn für das Prak-

tische: ein leicht gearbeiteter Tisch etwa läßt sich
leichter verschieben und zu verschiedenartigeren
Diensten verwenden als ein großer, schwerer, zu
massiver Tisch, und ebenso ist etwa eine leichte,
mit leichten Polstern belegte Sitzbank praktischer
als das fest in die Ecke gezimmerte Sofa. Aber
das ist nicht der einzige Grund, ja eigentlich
spielt er überhaupt nur nebenbei eine Rolle. .

Letzten Endes wünschen wir uns nämlich das
»Bewegliche« allenthalben garnicht so sehr, um
es wirklich bewegen zu können, sondern vor allem
als Erscheinung: es muß bewegbar aus-
sehen. Denn die Erscheinung, das Aussehen, die
Wirkung solcher »Mobilia« löst gerade jene Stim-
mung eines heiteren, freien »Losgebundenseins«,
die »schwebende« Stimmung in uns aus, die wir
uns heute als eine Art notwendigen Elixiers, als
den Ausgleich für unser in starken Bindungen ver-
laufendes Arbeitsleben wünschen. . alfred wenzel.

LE CORBUS1ER, P. JEANNERET, CH. PERR1AND. »LEHNSESSEL«. CHROMSTAHL