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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 45.1934

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Born, Wolfgang: Poesie der Exaktheit: Betrachtungen zu einer neuen Wohnung von Prof. Ernst Lichtblau in Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.10796#0057

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»VORRAUM« BRAUNER GUMMI-BODENBELAG

WÄNDE HELLGRÜN SCHLEIFLACK UND BAST

POESIE DER EXAKTHEIT

BETRACHTUNGEN ZU EINER NEUEN WOHNUNG VON PROF. ERNST LICHTBLAU IN WIEN

Der Widerspruch zwischen dem Charakter älterer
Miethäuser und den Forderungen des neuen
Lebensstils stellen an die schöpferische Phantasie des
Innenarchitekten die höchsten Forderungen. Er ist
nicht in der glücklichen Lage, eine gegebene Woh-
nung einfach einrichten zu dürfen, sondern er muß
das Gegebene erst verwandeln, ehe er den Rahmen für
seine eigentliche Arbeit gewonnen hat. Der Verwand-
lungsfähigkeit einer Mietwohnung aber sind enge
Grenzen gesetzt. Die Gefahr dabei liegt in der Zwitter-
haftigkeit kompromißlerischer Lösungsversuche. An-
ders verhält es sich, wenn der Innenarchitekt sich ge-
rade durch die Widerstände der Aufgabe anregen läßt
und sie als produktive Faktoren in seine Rechnung
einbezieht. Wie bei einem Bildhauer, den die Sprödig-
keit seines Materials anregt, kommt dann ein Kunst-
gebilde zustande, das durch seine latente Spannung
besondere Anziehung ausübt. Das »Trotzdem« - als
zutiefst ethisches Moment - spornt die Erfindungs-
gabe. Die Formen, die der widerspenstigen Materie ab-
gerungen sind, erhalten eine Straffheit, eine Logik und
Uberzeugungskraft, die sie gegenüber allem willkür-

1934. H. 1

lieh Gemachten auf das Niveau edelster Zucht heben.

So liegt der Fall bei Ernst Lichtblaus neuestem
Wohnungsbau, der, in einem Stockwerkhaus der in-
neren Stadt von Wien gelegen, aus einer konventio-
nellenAnlage die äußersten Möglichkeiten einer freien
Neuschöpfung bezieht. Ernst Lichtblau, der heute im
Scheitelpunkt seiner Laufbahn angelangt ist, hat nur
auf dem Boden von Wien das werden können, was er
geworden ist. In seinen Arbeiten strömen die beiden
Grundkräfte zusammen, die, nebeneinander und in
sichtbarem Gegensatz, dem österreichischen Bauen
der letztvergangenen Jahrzehnte ihr Gepräge ver-
liehen haben. Das ist einerseits das durch den kürzlich
verstorbenen Adolf Loos vertretene voraussetzungs-
lose Architekturdenken, das sein unerbittliches Gesetz
aus den Prinzipien der Materialethik und der Zweck-
haftigkeit bezieht - andererseits die dekorative Kom-
positionsweise Josef Hoffmanns, die aus musischen
Quellen ihre Nahrung erhält. Ernst Lichtblau ist
streng in allen Formfragen. Er meidet das Ornament
und gewinnt seine ästhetische Wirkung aus der sub-
tilen Abstimmung und Behandlung erlesener Mate-
 
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