Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 45.1934
Zitieren dieser Seite
Bitte zitieren Sie diese Seite, indem Sie folgende Adresse (URL)/folgende DOI benutzen:
https://doi.org/10.11588/diglit.10796#0282
DOI Artikel:
Selbstaufhebung des Architekten
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.10796#0282
ARCHITEKT FRITZ RE1CHL »SCHLAFZIMMER«
BETT MIT ANGEBAUTEN NACHTTISCHEN
SELBSTAUFHEBUNG DES ARCHITEKTEN?
Unsere Architekten sind allmählich in eine selt-
same und — vom für sie Praktischen aus ge-
sehen — nicht ganz angenehme Situation geraten. Seit
Jahrzehnten haben sie einen mutigen Kampf ge-
kämpft gegen muffige Fassaden- und Gardinenherr-
schaft, gegen unwahre Restbestände überlebten
Bauens und Wohnens, gegen Vorurteil und Unge-
schmack. Die Geschichte wird einst das Verdienst der
Jahrzehnte seit 1900 würdigen und als große Leistung
unserer Architektenschaft herausstellen. Und nun ist
ihrer, dieser kampfesfreudigen Architekten, der Sieg.
Die Sache ist durchgesetzt.
Die Errungenschaften des neuen Lebensstils haben
sich eingebürgert«. Grundriß, sanitäre Einrichtung,
Wohligkeit und Sonnennähe des Wohnens sind allge-
mein angenommene Tatsache heutigen Bautums ge-
worden. Auch der Hinterwäldler versteht sich heute
zu gesundem Wohnen, und auch der letzte Spießer
legt schon Wert darauf, zweckdienliche Möbel zu
kaufen und durch große Fenster Luft und Sonne
hereinzulassen in sein Glück im Winkel. Was den
Vorkämpfern heiße Mühe erst im Entwurf und dann
im Durchsetzen beim Publikum gekostet hatte, das
wird jetzt auf breitester Grundlage von der Industrie
verfertigt und vom Käufer willig hingenommen. Bei
der Möbelindustrie ging's an. In Serienfabrikation
wurden Stücke »modernsten Stils« geliefert, sauber
und billig. Und die Häuserindustrie folgte nach:
Eisenwerke liefern fertige Häuser reizvollen Aus-
sehens und zweckdienlichster Einrichtung zu ver-
hältnismäßig geringem Preis. Man braucht den Archi-
tekten nicht mehr - man ist Selbstversorger im Planen
und Einrichten geworden oder aber Abnehmer zweck-
entsprechend gelieferter Haus- und Möbelware.
Aus großer Sicht betrachtet ist das eine höchst er-
freuliche Tatsache: die Bemühungen der Architekten-
schaft haben zum Sieg geführt. Ihre Ideen sind
überall durchgedrungen: man baut und wohnt nach
heutigem Geschmack und Bedürfnis. Das Alltags-
gesicht unseres Lebens hat sich weitgehend nach der
Vision der Vorkämpfer um 1900 gewandelt.
Die Nahsicht zeigt da aber doch bedenkliche Seiten.
BETT MIT ANGEBAUTEN NACHTTISCHEN
SELBSTAUFHEBUNG DES ARCHITEKTEN?
Unsere Architekten sind allmählich in eine selt-
same und — vom für sie Praktischen aus ge-
sehen — nicht ganz angenehme Situation geraten. Seit
Jahrzehnten haben sie einen mutigen Kampf ge-
kämpft gegen muffige Fassaden- und Gardinenherr-
schaft, gegen unwahre Restbestände überlebten
Bauens und Wohnens, gegen Vorurteil und Unge-
schmack. Die Geschichte wird einst das Verdienst der
Jahrzehnte seit 1900 würdigen und als große Leistung
unserer Architektenschaft herausstellen. Und nun ist
ihrer, dieser kampfesfreudigen Architekten, der Sieg.
Die Sache ist durchgesetzt.
Die Errungenschaften des neuen Lebensstils haben
sich eingebürgert«. Grundriß, sanitäre Einrichtung,
Wohligkeit und Sonnennähe des Wohnens sind allge-
mein angenommene Tatsache heutigen Bautums ge-
worden. Auch der Hinterwäldler versteht sich heute
zu gesundem Wohnen, und auch der letzte Spießer
legt schon Wert darauf, zweckdienliche Möbel zu
kaufen und durch große Fenster Luft und Sonne
hereinzulassen in sein Glück im Winkel. Was den
Vorkämpfern heiße Mühe erst im Entwurf und dann
im Durchsetzen beim Publikum gekostet hatte, das
wird jetzt auf breitester Grundlage von der Industrie
verfertigt und vom Käufer willig hingenommen. Bei
der Möbelindustrie ging's an. In Serienfabrikation
wurden Stücke »modernsten Stils« geliefert, sauber
und billig. Und die Häuserindustrie folgte nach:
Eisenwerke liefern fertige Häuser reizvollen Aus-
sehens und zweckdienlichster Einrichtung zu ver-
hältnismäßig geringem Preis. Man braucht den Archi-
tekten nicht mehr - man ist Selbstversorger im Planen
und Einrichten geworden oder aber Abnehmer zweck-
entsprechend gelieferter Haus- und Möbelware.
Aus großer Sicht betrachtet ist das eine höchst er-
freuliche Tatsache: die Bemühungen der Architekten-
schaft haben zum Sieg geführt. Ihre Ideen sind
überall durchgedrungen: man baut und wohnt nach
heutigem Geschmack und Bedürfnis. Das Alltags-
gesicht unseres Lebens hat sich weitgehend nach der
Vision der Vorkämpfer um 1900 gewandelt.
Die Nahsicht zeigt da aber doch bedenkliche Seiten.