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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 45.1934

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Meyer, Klaus: Offener Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.10796#0073

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OFFENER BRIEF

Sehr geehrter Herr Kopf!

Ihren Aufsatz im November-Heft der »Innen-Deko-
ration«: »Anregungen zur Reorganisation der staat-
lichen Kunst- und Kunstgewerbeschulen« las ich mit
Interesse. Ihre Vorschläge zur Umgestaltung der
Lehrmethoden an diesen Schulen in Form einer Ver-
kettung von Fach- und Kunstschulen sind nur zu
begrüßen. - Ihr Aufsatz enthält aber verschiedene
Punkte, über die ich mir gestatten möchte, Ihnen
meine Ansicht auszusprechen.

Es erscheint mir erstens nicht ganz gerecht und
zweitens auch gefährlich, die Schuld an der Tatsache,
daß selbst beste Schüler von Kunstgewerbeschulen
weder in der Industrie noch in größeren kunstge-
werblichen Ateliers eine Anstellung finden, vorwie-
gend dem mangelhaften Ausbildungsgang zuzu-
schreiben. - Die Industrie selbst muß einen Teil die-
ser Schuld auf sich nehmen; ihre Methoden, unzweck-
mäßigen und form-unschönen, materialungerechten
Hausrat herstellen zu wollen, sind reorganisations-
bedürftig! - Es gibt zahlreiche schöpferisch begabte
Schüler, die in jahrelanger handwerklicher Praxis das
Material, aus dem sie später für die Gesamtheit
brauchbare Formen schaffen sollen, gründlichst ken-
nen und lieben gelernt haben, und denen eine grund-
ehrliche Art der Arbeit selbstverständlichstes Bedürf-
nis ist. Aber wenn sie in der Industrie eine Anstellung
gefunden haben, so stellt sich meistens heraus (Aus-
nahmen bestätigen auch hier die Regel), daß man von
ihnen Unmögliches verlangt. Gerade diejenigen, bei
denen das Können tiefer sitzt, als nur eben an der
Oberfläche, müssen aus einem Gefühl kultureller Ver-
antwortung heraus »versagen«.

In der Industrie ist man allzuoft nicht einmal bereit
zu sagen: Größte Verkäuflichkeit des Erzeugnisses
gleich billigste Herstellung plus künstlerische Ausge-
staltung, sondern man sagt: Größte Verkäuflichkeit
des Erzeugnisses gleich billigste Herstellung plus
kitschige und sinn- (material-) widrige Ausgestaltung.
Und dazu sind eigentlich keine künstlerischen Mit-
arbeiter mehr nötig. Ein Blick in die einschlägigen
Verkaufshäuser und Geschäfte muß dies bestätigen. -
Ist es nun tatsächlich so, daß die geschmackliche
Einstellung der Käuferschaft die Industrie und das
Handwerk zwingt, solche mißratene Dinge auf den
Markt zu bringen? - Das Schlechte »geht« gut und
das Gute schlecht; daher ist gar kein Interesse vor-
handen, gute Gegenstände herzustellen; das Schlechte
aber geht gut, weil es in Massen vorhanden ist. Die
Käuferschaft sieht in dieser Masse das Gute, während
sie das wirklich Gute ignoriert; es ist auch in so ge-
ringen Mengen vorhanden, daß sie ja geradezu ge-
zwungen ist, das Schlechte zu kaufen. - Industrie

und Handwerk hätten es somit in der Hand, hier
Wandel zu schaffen, und es wäre eine kulturelle und
soziale Pflicht, vor die man sie stellen müßte! - In
unserer Zeit der Neuordnungen dürften die zustän-
digen Regierungsstellen und die mit ihnen zusammen-
arbeitenden Organisationen (Werkbund usw.) an der
verantwortungsvollen Aufgabe, sowohl auf die Indu-
strie, als auch auf das Handwerk im vorbezeichneten
Sinne einzuwirken, nicht tatenlos vorübergehen.

Die zweite Notwendigkeit wäre die einer alle Volks-
schichten umfassenden Propaganda für ehrlich gear-
beiteten, technisch und künstlerisch einwandfreien
Hausrat. Überall, wo es nur irgend möglich ist, auf
weitere Kreise erzieherisch einzuwirken: in Schulen,
öffentlichen Gebäuden usw., müßte durch Wort,
Schrift und Bild ein Feldzug einsetzen gegen Unord-
nung, Maßlosigkeit, Zweckwidrigkeit der Form jener
Dinge, die den Menschen in Stadt und Land täglich
umgeben und mit denen zusammen er leben soll.

Unerläßlich ist es fernerhin, daß durch gründliche
Schulung die Heranbildung eines brauchbaren Ver-
käufermaterials gewährleistet wird. - Jeder Handels-
schule müßte eine Verkäuferschule angegliedert wer-
den, die die angehenden Verkäufer während ihrer
kaufmännischen Lehrzeit pflichtgemäß zu besuchen
haben und die solche Vollschüler aufnimmt, die nach
Erledigung ihrer Lehrzeit sich dem gründlichen Stu-
dium eines Spezial-Verkaufsfaches widmen wollen.
In die Lehrpläne müßten unbedingt Fächer aufge-
nommen werden, die dem Schüler eine geschmack-
liche Bildung vermitteln und ihn fernerhin in die Lage
versetzen, über Materialeigenschaften und den Pro-
duktionsgang gründlichst orientiert zu sein. - Nie-
mals aber wird es einen Sinn haben, die beiden letzten
Forderungen erfüllen zu wollen, solange nicht die In-
dustrie und das Handwerk ihre kulturelle Aufgabe
erkennen und bereit sind, andere Wege zu gehen als
bisher! - Tun sie es, so werden wir bald mehr zweck-
mäßige und schöne Gegenstände in unseren Bauern-
und Bürgerhäusern finden. Denn je mehr Gutes zu
sehen ist, desto mehr wird davon gekauft, und es ist
meine Überzeugung, daß dann auch zwangsläufig
wieder mehr künstlerische Kräfte in den Arbeitspro-
zeß eingereiht werden.

Wollen Sie freundlichst entschuldigen, wenn ich
Ihre Zeit mit einem so langen Schreiben in Anspruch
nahm - aber es geht um Dinge, die mir schon von je
am Herzen liegen, und die einmal zu Gehör zu bringen
mir die Gelegenheit zu günstig erschien, als daß ich
sie mir versagen konnte. -

Ich bin, sehr geehrter Herr Kopf,

Ihr ganz ergebener Klaus Meyer —Kassel

1934. II. 3
 
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