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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 45.1934

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Michel, Wilhelm: Wohnraum als Bühnenbild
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https://doi.org/10.11588/diglit.10796#0287

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INN EN-DEKOR ATI ON

271

arch. anton posp1sch1l-w1en »wohnraum«

sofabezug: beige, teppich: gelb-orange

Außerordentliches! Die Schreibfläche in richtigen
Abmessungen, der bequeme Stuhl, der Behagen lie-
fert, ohne durch Versinken passiv zu machen, die Er-
reichbarkeit der nötigsten Bücher am nahen Bücher-
bord, das Vorhandensein von Ablegeflächen rechts
und links vom Tisch, Rückendeckung dazu und freies
Überschauen des Raumes, ein Spritzer Kunst zum
Ausruhen für Auge und Sinn - das Auge faßt das
jeden Morgen von neuem mit wachster Empfänglich-
keit auf und bringt den ganzen seelisch-geistigen
Apparat in die für die Arbeit günstige Schwingung.

Von den aufgebauten »Szenerien« in der Wohnung
hängt es ab, ob Frühstücken, Plaudern, Ausruhen,
Arbeiten trockene Zweck-Verrichtungen sind - die
wir in einem gewissen stillen Kampf gegen wider-
rhythmische Raum- und Ortgefühle vollziehen -
oder ob sie jenen geheimen festlichen Akzent tragen,
der gerade den Normal-Ablauf des täglichen Lebens
stets begleiten soll. Selbst fürs Schlafen kommt dieser
Gesichtspunkt erheblich in Betracht. Das weiche
Polster, die Zweckmäßigkeit von Nachttisch und Lese-

lampe genügen durchaus nicht, um wirklich die Fülle
guter Schlafgefühle zu gewährleisten. Der Mensch
ist ein so merkwürdig bewußtes Wesen, daß die
Szenerie, die sein Auge beim Herangehen an die
Schlafstätte aufnimmt, für seine Selbst- und Orts-
Empfindung noch maßgebend bleibt, wenn er selber
in den Federn steckt. Er schmeckt gleichsam die
vorher erblickte Gesamt-Szenerie noch nach, und das
ist je nachdem günstig oder ungünstig für sein Wohl-
gefühl. Man sieht das genau bei Kindern: Sie bauen
sich aus Kisten im Hof ein »Haus«, sie kriechen hin-
ein und gucken seelenvergnügt heraus. Drinnen ist
es meist höchst unbequem. Aber sie haben vorher die
»Szenerie« gesehen, die reizte sie, sie dachten sich in
sie hinein, und so macht ihnen die Sache Spaß. Und
wenn Knaben hinausziehen mit Zelt und Schlafsack,
um am Fluß oder unter Bäumen zu kampieren, so er-
fahren sie wohl, daß das gegenüber dem Bett zu
Hause manche Nachteile hat, aber die vorgestellte
und vorgenossene Szenerie behält den entscheidenden
Bedeutungs-Akzent im Erlebnis. - Wilhelm michel

1934. viii. 4
 
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