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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 45.1934

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Pütz, Friedrich: Eine "Honigwochenwohnung" von heute
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https://doi.org/10.11588/diglit.10796#0320

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304

INNEN-DEKO RATION

EINE „HONIGWOCHEN
WOHNUNG'VON HEUT

EINE »HONIGWOCHENWOHNUNG« VON HEUTE

VON ARCHITEKT FRIEDRICH PÜTZ-BERLIN

Viele Leser werden zunächst fragen, was diese
merkwürdige Bezeichnung bedeutet. Der Zusatz
»von heute« enthält schon den Hinweis, daß sie älteren
Datums ist. Ende des 18. Jahrhunderts mußten die
Berliner Hausbesitzer auf Grund behördlicher An-
ordnung zur Behebung einer Wohnungsnot Dach-
wohnungen ausbauen. Da diese billigen Behausungen
vorzugsweise von Jungvermählten bezogen wurden,
so nannte der Berliner Volksmund diese Mansarden
»Honigwochenwohnungen«. Das waren oft richtige
Puppenstuben, von denen im alten Berlin noch heute
einige erhalten und sogar bewohnt sind. Sieht man
die kleinen Mansardenfenster oben auf den wind-
schiefen Dächern, so wundert man sich, wie in sol-
chen Vogelnestern Menschen nur leben konnten. Zu-
mal zu einer Zeit, da man Kerzen brannte, da man
das Wasser vom Brunnen holen mußte, da es keinen
Gaskocher, kein W. C. und für die nächsten 100 Jahre
noch kein Bad gab. Man hatte keinerlei »Komfort«,
aber man hatte Stil.

Stil im Sinne einer einheitlichen, auf die gesamte
Umwelt, auf Mode, Möbel und jegliches Gerät sich er-
streckenden Formkultur, die dem Gemüt so viel gab,
daß die Unbequemlichkeiten einer primitiven Wohn-
technik gar nicht fühlbar wurden.

Für uns steht die Forderung nach einem Mindest-
komfort an erster Stelle, ohne den heute auch eine
Dachwohnung nicht sein dürfte. Nur Komfort und
Stil wurde zum Reservat einer begrenzten geistigen
oder wirtschaftlichen Oberschicht, die durch Erb-
kultur oder durch den engagierten Architekten zum
Nutznießer solcher idealen Synthese wird. Das durch-
schnittliche Bürgerheim von heute hat jeglichen Stil,

hat seit den Gründerjahren eine wirkliche Wohnkul-
tur verloren, und trotz aller Bemühungen von Künst-
lern, Zeitschriften und Ausstellungen im großen und
ganzen noch nicht wieder erringen können.

Denn die industrielle Produktionsweise mußte zur
entseelten Form und weiter zu einer allgemeinen
Schematisierung des Geschmacks und der Wünsche
führen. In billigen oder in teuren Wohnungen, ob
Eiche mit Kunstseide, ob Mahagoni mit Filetstores,
überall herrscht eine vom Handel geprägte Schablone,
die den Geschmack breiter Schichten nivellierte.

Abweichungen von der Regel findet man nur bei
originellen Leuten, die als dilettierende Bastler oder
als schöpferische Menschen jenen Mut zu eigenwilli-
ger Gestaltung ihrer Umwelt haben, um den der Bür-
ger im Grunde seines Herzens die Bohemien-Naturen
doch beneidet. Mangel an Mitteln macht diese beson-
ders erfinderisch, zumal sie aus Gründen der Billigkeit
meist in Behausungen merkwürdiger Gestaltung ihr
Quartier aufschlagen. In denen gilt es, aus der Not
eine Tugend zu machen.

Die »Atelierromantik« genießt bei den meisten
Menschen eine aus Sensationslust, Panoptikumsreiz,
Schmutzangst und Freiheitssehnsucht eigentümlich
gemischte Bewunderung, die nicht ohne erzieheri-
schen Wert ist. Denn in ihr liegt auch Achtung vor
dem von der Konvention sich befreienden, gestal-
tungsfrohen Geist, der in jedem »Aus-der-Not-eine-
Tugend-machen« zur Auswirkung kommt. Jeder Not-
behelf bedeutet Ablösung von gewohnter Ordnung,
Beschränkung oder Verzicht, aber auch Befreiung
von Trägheit des Denkens und Handelns, bedeutet die
Mobilisierung schöpferischer Selbsthilfe.
 
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