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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 1879

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Heft 7/8
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Luthmer, Ferdinand: Kunstgewerbliches auf alten Bildern
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https://doi.org/10.11588/diglit.6905#0058

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Kunstgewerbliches aus alten Bildern.

von F. Luthmer in Berlin.

können ein allgemeines Bestreben unserer Zeit erkennen, dein Kunstgewerbe
durch Sammlungen und Veröffentlichungen gute Muster der Vergangenheit
zugänglich zu machen. Dies Bestreben ist mit Folgerichtigkeit aus der Er-
kenntniß hcrvorgegangen, daß unsere Kunst seit den Zeiten des dreißig-
jährigen Krieges etwa einen steten Rückgang an Erfindungskraft, Tüchtig-
keit und Präzision der Ausführung erlitten hat. Alan beeilte sich also,
und nicht etwa nur oder mit hervorragender Energie bei uns, sondern
in allen Kulturländern, die Reste zusammenzuraffen, die eine begün-
stigtere Zeit uns hinterlassen, dieselben in Gewerbemuseen den
heutigen Produzenten als Muster hinzustellen; man sammelte alte
Vorbilderwerke, an denen namentlich Deutschland im sechzehnten
Jahrhundert so überreich war. Jene unerschöpflichen Fundgruben
stilvoller Ornamente für Gold- und Silberschmiede, Graveure, für
Weberei und Wirkerei, für Spitzenarbeit und Stickerei jeder Art
und Technik, die sich an die Namen Polbein, Flötner, Siebmacher,
Solls, Dietterlein, Lollaert und viele Andere knüpfen, die unter
dem gemeinsamen Namen der „deutschen Kleinmeister" zusammen -
gesaßt werden, diese Schätze wurden wieder aufgelegt, wobei die
Erfindung des Lichtdrucks die unschätzbarsten Dienste leistete, zuerst
von den Franzosen, dann aber in dem Werk von Wessely, aus
das Berlin stolz sein kann, später in den: pirth'schen „Formen-
schatz", der bei seiner Billig eit die mustergiltige Pinterlassenschaft

der Vergangenheit in unzählige pände brachte.

Von denselben Gesichtspunkten, welche dies intensive Studium der Vergangenheit wachgerufen haben,
gehe ich aus, wenn ich es unternehme, Ihre Aufmerksamkeit auf einen, wenn auch nicht unbekannten, so doch
lange nicht genug ausgebeuteten Fundort für kunstgewerbliche Muster hinzulenken. Ich meine die Darstellungen
von allem möglichen Pausrath, von Stoffen und Teppichen, von Gold- und Silbergeräth, die wir auf den
Gemälden vergangener Zeiten finden, Darstellungen, die ineist durch ihre unglaubliche Genauigkeit nicht nur das
glänzendste Zeugniß für die Gewissenhaftigkeit der Maler ablegen, sondern eben durch diese Eigenschaft uns
direkt oder indirekt nützlich werden können.

Ehe ich jedoch auf meinen Stoff näher eingehe, glaube ich noch einenr Einwand gegenüber Stellung
nehmen zu müssen, der mir leicht gemacht werden könnte und der, wenn er berechtigt wäre, nicht nur unsere
Betrachtung, sondern all' die Bestrebungen unserer Sanmller, unserer Museen als ziemlich müßig erscheinen ließe.
Es ist der Einwurf, der sich in die Fragen kleidet: Braucht denn das Kunsthandwerk zu seiner Regeneration die
alten Vorbilder? Sollen wir einer Wiedergeburt unseres Kunstgewerbes immer nur auf den Krücken der Ver-
gangenheit entgegenhinken? Können wir dem Ziele nicht auf den Flügeln unserer eigenen Phantasie zustreben?

Es gibt gewisse Dinge, die aus Naturgründen unmöglich sind. Aus statischen Gründen kann sich kein
Mensch selbst beim Schopfe fassen und aus dem Master ziehen. Ebensowenig kann ein Mensch mit Willen
oder ohne Willen aus den Kulturbedingungen heraus, die seine Zeit um ihn herum geschaffen hat. Und zu
diesen Bedingungen unserer Zeit gehört, daß wir die Erbschaft der Vergangenheit nicht ignoriren. Wir können
das gar nicht. Unsere elementarsten Bedürfnisse, unsere Wohnung, unsere Nahrung, vor Allen: unsere Sprache,
Alles ist so, wie es heute ist, nur denkbar dadurch, daß Jahrhunderte und Jahrtausende in steter Entwicklung,
bald in bedingter Nachahmung, bald in Abschleisung des Vergangenen, daran gebaut und geschaffen haben.
Wohl glaubt Mancher, daß er diese That, jene Schöpfung ganz original nur aus sich, ohne jede Erinnerung
an irgend etwas Dagewesenes hervorbringt: meist ist aber dieser naive Glaube nur das Resultat glücklicher
Unkenntniß der Vergangenheit, ihn: selbst unbewußt wird immer der Einfluß der letzteren, in leisesten Tönen in
der Gegenwart nachklingend, sein Thun beeinflußen!

Aus diese Weise müßten wir also aus jeden Rest von Naivetät verzichten, dürften wir nie von einem eigenen
Tharakter unserer Zeit, nie von einem Stil des letzten Drittels des XIX. Jahrhunderts reden? Sicherlich hat
unsere Art, zu sein, zu schaffen, ihre charakteristische Eigenthümlichkeit, die jede Folgezeit auf den ersten Blick
an den Erzeugnissen unseres Kunstgewerbes erkennen wird, selbst wenn wir uns noch so treu an alte Vorbilder
angeschlossen zu haben glauben, charakteristische Merkmale, für die nur wir peutigen keinen Blick haben:


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