Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 1884

DOI article:
Friedrich, C.: Ueber Holzschnitzerei, [2]
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7028#0064

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
4- 56

/

\

während die armen Schnitzer kaum das nöthigste zum Leben
haben. Die unausbleibliche Folge davon ist die Verschlech-
terung der Waare, bis dieselbe schließlich gar keinen Markt
nrehr findet und die ganze Bevölkerung der Verarmung
anheimfällt. Dieselben Verhältnisse existirten früher in den
Distrikten der Holzschnitzerei des bayerischen Gebirges, ja
sie sind dort gegenwärtig noch nicht vollständig überwunden,
obwohl die Ausnahme eines künstlerischen Elementes bereits
eine anhebende Besserung bemerkbar rnacht.

In der Schweiz, ferner im Traunkreis in Oester-
reich und namentlich im GrödenerThal in Tirol liegen
die Verhältnisse ebenfalls nicht anders. Von verschiedenen
5eiten sind Stimmen laut geworden, daß den dortigen
Schnitzern die Möglichkeit einer tüchtigen künstlerischen
Schulung, wie wir dieselben in Bayern bereits besitzen, ge-
boten würde, auf daß ihr chandwerk sich wieder zum Rang
eines Kunstgewerbes erheben und so dessen Produkte zu er-
höhten Preisen Absatz finden möchten.

Mas speziell das Grödener Thal anbelangt, so
scheint dort die Schnitzerei vereinzelt und als Nebenbeschäf-
tigung seit ältester Zeit betrieben worden zu sein. Aber
diese seit Alters her geübte Schnitzerei gelangte erst zu in-
dustrieller Bedeutung, als aus der Mitte des seltsamen
Völkchens sich ein unternehmender Kopf, Johann de
Mez, im Jahre s703 der Sache annahm.15) Dieser sah
den Nothstand seines sieißigen und sparsamen Volkes und
erkannte zugleich, daß dasselbe durch die bislang gepflegte
Viehmästung und den Getreidebau nicht weiter zu kommen
vermöge. Da verfiel er aus die Ausnützung der Mälder,
welche das enge Thal einschlossen und wurde so der Mohl-
thäter seiner Landsleute und der Begründer ihres Wohl-
standes und Glückes. Er schnitzte Anfangs glatte, schlichte
Stäbchen-Rahmen für Bilder und wagte bei günstigen Er-
folgen allmählig auch reichere, ornanientirte Rähmchen, die
er im Geschmacke der Zeit mit Laubwerk und Muscheln
verzierte, zu arbeiten. Dazu half ihm fein Sohn. Bald
aber fchlossen sich mehrere junge Leute an und in kurzer
Zeit folgte die ganze Thalbevölkerung nach, so daß gegen
die Mitte des vorigen Jahrhunderts das Thal bereits eine
Bildschnitzerkolonie von 3—^000 Arbeitern zählte. Zu-
nächst schnitzten dieselben Krippenfiguren, welche in Tirol
selbst in großen Mengen verbraucht wurden, dann über-
haupt plastische Gebilde und Spielzeuge und brachten die-
selben nach allen Ländern in den chandel. Im letzten Jahr-
zehnt des vorigen Jahrhunderts hatten die Grödener mehr
als (30 Niederlagen in allen größeren Städten Europa's
und selbst jenseits des Dzeans etablirt und Wohlstand und

(5) Vgl. die Industrie des Grödener Thales von Albert Ilg
(Nittheilungen des k. k. Gesterreichischen Museums für Kunst und In-
dustrie, III. Bd. ((869/7 (), S. 367 ff.] — ksolzschnitzindustrie im Grödener
Thal von G. Dahlke (Kunst und Gewerbe, (877, S. 36( ff.)

Reichthum in ihre kjeimat zurückgebracht. Aber obwohl
selbst einige berühmte Künstler, wie namentlich Martin und
Dominik Vinazer,l6) aus dieser Schnitzlerkolonie hervorge-
gangen sind, so arbeitete doch die große Mehrzahl im alten
Schlendrian fort, unbekümmert um das, was in der weiten
Welt vorging. Man überhörte das Rauschen des neuen Zeit-
geistes, welcher sich selbst in Krippenfiguren und Ainderspielzeug
bemerkbar machte, ausgehend von dem Grundsätze, daß für die
Rinder nur das Beste gut genug ist, welcher also nur form-
schöne Produkte begünstigt und die bloße chandelswaare ab-
seits liegen läßt. Die Grödner Industrie ist daher in die
gedrückteste Lage gekommen. Zwar hat die österreichische
Regierung schon vor Jahren einen Anlauf genommen, der
Bevölkerung durch Errichtung einer Zeichenschule unter die
Arme zu greifen; dieselbe wurde aber ohne genügende In-
formirung über die lokalen Verhältnisse ins Leben gerufen
und ist daher bald wieder eingegangen. Vielleicht versteht
es Joseph Moroder, welcher sich aus einem schlichten Hand-
werksmann zu einem tüchtigen Künstler herangebildet hat,,7)
in die Industrie seines Heimatthales einen neuen Auf-
schwung zu bringen; gegenwärtig vermag dieselbe mit der
bayerischen nicht zu konkurriren.

In der richtigen Einsicht, daß nur die Schönheit und
Veredlung der Schnitzereien die Käufer wieder in die Berge
rufen könne, wurde im Jahre (873 in Mondsee im Salz-
burgischen eine Kunstgewerbeschule für Holzschnitzerei be-
gründet und Franz Wenger, eine bewährte Kraft, erhielt
die Leitung dieser Schnitzschule.l8) Dieselbe ließ sich sehr-
gut an, scheint aber gegenwärtig trotz der Anstrengungen
Wenger's schon wieder ins Stocken zu gerathen. Allein
das darf uns nicht einschläfern; denn Oesterreich macht
aller Vrten gewaltige Anstrengungen, die Hausindustrie zu
heben, und auch die Schweiz hat bereits diesen Weg
betreten.

Wie Großartiges durch systematische Heranbildung der
Jugend erzielt werden kann, das hat Ehr. Magnussen
mit seiner Schnitz- und Zeichenschule in Schleswig gezeigte»)
Kurz, überall sind die Bestrebungen darauf gerichtet, die
Volkskunst, diese verlorene Tochter, wieder heimzuführen in
das wahre Reich der Kunst und ihr dadurch eine glücklichere
Zukunft zu eröffnen, der Kunst selbst aber eine feste Unter-
lage zu geben.

(S) Wartburg, Grgan des Münchener Alterthumsvereins, (879,
Nr. 4, S. 74 ff.

(7) In der Werkstatt eines Naturfchnitzers von G. Dahlke.
(Kunst und Gewerbe, (876, S. 97 ff.)

(8) Die Schnitzschule in Mondsee von G. Dahlke (Kunst und
Gewerbe, (879, 5. 225 ff.) — vgl. tsallein und die ljolzschnitzindu-
strie von R. v. <£. sMittheilungen des k. k. österreichischen Museums
für Kunst und Industrie, Bd. III. ((8S9/7(), 5. ( ff.].

(9) Die Bilderschnitzschule von Thr. Magnussen in Schleswig von
Or. Richard Steche. (Kunst und Gewerbe, (878, S. (2( ff.]
 
Annotationen