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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

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Hauptmann, Gerhart: Das Mediceergrab
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https://doi.org/10.11588/diglit.3547#0023

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zuerst und hell und festlich bekränzt in der
Arbeit, wenn er auch sonst im schwarzen
Kleide des Grams einher geht. Alles das, wo-
von er im Leben beherrscht wird, beherrscht
er in seiner Kunst. Als Michelangelo, aus
aller Erniedrigung heraus, sein Reich und
Werk wieder betrat, da ward er und fühlte
sich: der Fürst über die Fürsten. Erniedrigung,
Rachedurst, alles fiel von ihm ab und musste
von ihm abfallen, bevor er den Meissel an-
setzen durfte. Zu ganzer Grösse und Voll-
kommenheit musste er sich aufrichten, ehe er
sein eigenes Werk wieder erreichte, um weiter
über sich hinaus wirken zu können. Gewiss,
hätten die Wände dazumal Ohren besessen
und könnten sie heute reden: wir würden von
geflüsterten Flüchen und knirschend aus-
gestossenen Rufen des Hasses und mehr noch
der Verachtung erfahren. Ich sehe im Geist
den Meister, wie er umherging, pfiff, bitter
lachte, sang, dies und jenes zur Hand nahm,
seinen Holzhammer in die Ecke warf und der-
gleichen mehr, aber immer doch seiner ge-
heimen, sicheren Richtschnur nachging, über
dem Druck und Dunst der Stunde bergeshoch
und unter dem Oberflächengekräusel der eige-
nen Seele meerestief.

Den Historiker führt eben — ach, wie
oft! — wie den Aesthetiker, der Drang, das
Mysterium der Kunst zu entschleiern, vom
tiefsten Begreifen ab.

DieTotenkapelle istgrazil und hochstrebend,
hell und leicht ihre Kuppel, viel Licht ist darin.
Nischen aus Marmor von edelstem Ebenmass,
durch corinthische Säulenformen begrenzt,
ringsum in massiger Höhe. Statuen, welche
hineingedacht sind, fehlen. Zwei Sarkophage
der Medici sind von einer so letztgefundenen
Schönheit in Ernst und Grazie, dass, wenn die
darauf ruhenden Figuren im Taineschen Sinne
wirkten, das Missverhältnis vollkommen wäre.

Giuliano und Lorenzo di Medici, über den
Särgen thronend, sind wie griechische Krieger
gekleidet. Giulianos Haltung, von praxi-
telischer Ruhe und jugendlich-ahnungsloser
Würde, griechisch-göttlich frei. Lorenzo,
schön wie sein Verwandter, schöner vielleicht
als er, hat sich selbst und das Leben vergessen,

das ihn durchdringt. Sein Auge sinnt fern
über Vergangenes, über Zukünftiges. Es füllt
den Raum des Lichts mit einem weichen,
ernsten Stimmungsgehalt, sehnsüchtig, un-
begreiflich, unendlich süss. Dies ist der Tribut
Michelangelos an das Grab.

Taine sagt von Lorenzo: so muss Barbarossa
ausgesehen haben, bevor er den Befehl erteilte,
den Pflug über Mailand zu führen. Man kann
gar nicht grimmiger fehlgreifen.

Was hätten wir hier mit Barbarossa zu
schaffen? ja, was selbst mit den Medici? Das
tiefgeschöpfte Gebilde des grossen Künstlers
ist ganz persönlich und namenlos. Hier ist
des Meisters Haus! Es ist niemand darin, als
er, nicht Giuliano di Medici, nicht Lorenzo
di Medici, sondern allein Michelangelos mar-
morne Klarheit. Irgend ein Grosser vor einem
sogenannten welthistorischen Entschluss: er
würde zur Erbärmlichkeit herabsinken in dem
Stillen, Ewigen, das hier sich umspinnt.

Die Stimmung der weichen Rätsclsehn-
sucht, die von Lorenzo ausgeht, musste ge-
schont werden; so fein und verschwiegen sie
ist: die lauteste Aussprache im Räume musste
sie bleiben. Alles andere durfte nur stiller
und ruhender sein. Daher die tiefe, unend-
liche, erschütternde Stille in dieser Kapelle,
diese leuchtende Stille! — Man muss diese
Stille finden, um die Hoheit und Einheit dieses
Werkes zu begreifen, jenes Letzte und Zarteste
der Kunstabsicht und des reinen Triumphes
der Vollendung: „ . . . deh, parla basso".

Dieses „Sprich leise, leise" sagt Michel-
angelo zu allen, welche die Kapelle betreten.
Er hat es während der Arbeit zu sich selbst
gesagt. Er hat es zu seinen Figuren gesagt,
auch zu den vier gigantesken Gestalten: dem
Tage, der Nacht, dem Morgen, dem Abend.
Jede der vier Gestalten ist erhaben, nicht
kolossal. Der Tag blickt frei und grad, das
Auge starr und unbewölkt, unendliche, schein-
bar ruhende Macht ist dieser Sonnengigant.
Fern weiche der UgolinoTaincs, der die Hirn-
schale nagt! Die Nacht ist als Weib gebildet.
An ihr ruht alles, doch in ihr lebt, wirkt und
schwellt alles, traumhaft, halb unbewusst. Sie
ist auch der schmerzausruhende, bürden-

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