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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

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Lichtwark, Alfred: Der Schmuck
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https://doi.org/10.11588/diglit.3547#0035

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Wer Schmuck trägt oder verschenkt, sollte
sich eine genauere Kenntnis der veredelnden
Techniken verschaffen. In den europaischen
Museen giebt es überall zerstreut die kost-
barsten Arbeiten von den Anfängen der ägyp-
tischen Kultur durch alle folgenden Kulturen
und Zeitalter. Er wird sich bald überzeugen,
dass von den technischen und künstlerischen
Wirkungen, die eine feinfühlige Behandlung
des Goldes ermöglicht, heute fast nichts mehr
in unsern Werkstätten bekannt ist. Der neuere
und neueste Goldschmuck könnte in seiner
blanken Blechwirkung aus irgend einem andern
Metall ebensogut hergestellt werden. Der
klassische Goldschmuck älterer Epochen ver-
meidet jede solche Brutalität. Er sucht in der
granulierten Oberfläche, im FiligranWirkungen
von Schimmer und Duft zu erzielen, die dem
Charakter desGoldes wesentl ich eigen sind. Und
in diese schimmernden, nicht blanken Flächen
fügt er Perlen, Edelsteine und Schmelzarbeiten
ein, dass die Wirkung eine geradezu dichterische
Schönheit erlangt. Wer diese köstlichen Dinge
einmal gesehen und gefühlt hat, wird, wenn
er in die Lage kommt, die Schaffung modernen
Schmucks anzuregen,Wirkungen von derselben
Vornehmheit wünschen. Was die dichtende
Seele des Künstlergoldschmieds hervor zu
bringen vermag, ist tausendmal schöner als
das kostbarste Rohmaterial, mit dem wir
unseren Sinnen schmeicheln.

Auch der ausführende Künstler dürfte gut
thun, sich mehr als bisher erkennbar ist, mit
den technischen Problemen zu beschäftigen,
die das Material nahe legt, vor allem das Gold.
Und er müsste, was die Voll- und Halbedel-
steine anlangt, unterstützt werden von einem
einsichtigen Kaufmann. Wer etwa in Berlin
dem Künstler, den die Schaffung von Schmuck
reizt, die Wege ebnen will, müsste das Roh-
material der wenig bekannten und selten ver-
wendeten Halbedelsteine in grossen Massen
vor ihm ausbreiten, dass seine Hände darin

wühlen können und seine Phantasie unmittel-
bar von dem Stoff angeregt wird, in dem sie
arbeiten soll. Er müsste diese Steine nicht als
farbige Nachahmungen des Brillantschlitfs
zurichten lassen, sondern in glatten Formen
(en cabochon), die der schmückenden Wirkung
eine Fülle jetzt fast unbekannter Motive an
die Hand geben. In der Beschaffung und Zu-
gänglichmachung des in ungeahnter Fülle vor-
handenen Rohstoffes liegt eins der Probleme
der künftigen Entwicklung.

Man könnte sich auch vorstellen, dass, wie
das Berliner Gewerbemuseum schon einmal
versucht hat, die wertvollsten Werke des
Schmuckes aller Zeiten zu einer Ausstellung
vereinigt würden. Aber in grossem Stil ist
dieser Plan leider nicht ausführbar, denn den
Museen, die die Kostbarkeiten als einzelne
Wertstücke besitzen, kann nicht zugemutet
werden, dass sie ihre Schätze auf eine Karte
setzen. Könnte es ausgeführt werden, so würde
mit einem Schlage auch dem blödesten Auge
klar werden, dass wir trotz aller grossen und
erfreulichen Anstrengungen der letzten Jahre
mit unserm Schmuck noch in tiefer Barbarei
stecken.

Man könnte vielleicht meinen, für das
Wohlbefinden und Gedeihen der Nation sei
es ziemlich gleichgültig, ob ein edlerer Ge-
schmack für die Ausbildung des Schmucks
angebahnt wird. Zweifellos kann es dem
einzelnen Arbeiter herzlich einerlei sein, ob
die einzelne vornehme Frau künstlerischen
oder brutalen Schmuck trägt. Aber darf die
Frage so gestellt werden? Es hängt alles in
sich zusammen. Wie viele Geschmacksfragen
von dem einen Punkt der künstlerischen Ge-
staltung des Schmuckes in Fluss gebracht
werden, wieviel für die edlere Ausbildung
des Auges, das dann nicht über den Schmuck
allein richtet, geleistet wird, kann leicht jeder
nachrechnen. Jede Wirkung strahlt nach allen
Seiten aus.


 
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