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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

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Chronik: Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.3547#0083

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die Vollendung seiner sinnlichen Wirkungen Welt-
anschauungs-Stimmungen hervorruft. Die Fehler,
die im Beethoven aus der Entstehung geblieben
sind, greifen nicht ein in diesen Sinnenzauber.
Sie verschwinden gegen den Wert eines Werks,
das mit anderen Werken dieser Zeit, wenige
ausgenommen, nicht einmal vergleichbar ist.
Die Massen, die im Frühjahr dicht [gedrängt

durch Klingers Atelier zogen, die Künstler,
die ihm in Wien huldigten, die schlichten Be-
schauer, die bei Keller und Reiner durch ihre
stumme Ehrfurcht den Ausstellungssaal zu einem
Tempel zu machen schienen, haben recht gehabt.
Hier ist Etwas zur Welt gekommen, das Ehrfurcht
gebieten sollte. Hier ist ein Kunstwerk und eine
Kunst geboren.

"Slii dem Kapitel „Die Amerikaner
im Kunsthandel" wird uns ein
kleiner Nachtrag geliefert, den wir
unsern Lesern nicht verheimlichen
wollen. Den Rekord im Preise für
ein altes Bild hat in diesen Wochen
wieder ein Amerikaner erreicht, nicht in der
absoluten Höhe des Preises, aber jedenfalls im
Verhältnis zum Kunst- und Handelswert des
Bildes. Im Sommer tauchte im londoner Kunst-
handel ein Gemälde von ziemlicher Grösse auf,
das für die Kunstkritiker von Interesse war: ein
Familienbild vom älteren Frans Pourbus mit einem
Christus in der Mitte, der segnend seine Hände
über die Mitglieder der Familie hält. Die Porträts
waren tüchtig, die Erhaltung vorzüglich, aber die
manierierte Gestalt des Christus mit dem faden
Ausdrucke verdarb den ganzen Eindruck desBildes.
Es war ein Werk, das man als interessant in eine
Galerie aber ohne Wert für den Markt erklärt
hätte, weil es an einen Privatmann unverkäuflich
sei. Doch das sind heute alte Vorurteile, dank den
Amerikanern! Das Bild, das vor einigen Jahren
bei Christie etwa <ro bis ioo £ gebracht hätte,
wurde von dem englischen Händler, der es besass,
an einen pariser Händler um 600 £ verkauft,
der „so glücklich war", es bald darauf um eine halbe
Million Francs an einen amerikanischen Liebhaber

weiterzuverkaufen. Beatus ille! Der Händler
war, wie das bei den unsninigsten Preisen für Ge-
mälde jetzt meist der Fall ist, ein Antiquitäten-
händler. Leute, die ein feines Möbel oder ein Li-
moses-Altärchen seleeentlich für Hunderttausende
verkaufen, rinden eine halbe Million für ein gutes
Bild, wenn es auch nicht gerade ein hervorragen-
der Meister ist, gar nicht sr) teuer; und im schlimm-
sten Falle können sie sich ja mit Unkenntnis der
Bilderpreise entschuldigen! — Wir hatten Gelegen-
heit, in letzter Zeit einen der modernen amerika-
nischen Sammler zu sprechen. In der Unterhaltung
über seine Kollegen drüben und ihre neuesten Er-
werbungen konnte er nicht abfällig genug über ihre
Unkenntnis und Ungeschicklichkeit im Ankauf von
Kunstsachen sich aussprechen; alle die anderen Na-
bobs — er nannte fast alle bekanntesten Namen
— verstünden gar nichts, aber hielten sich für
trrosse Kenner und wollten vom Rat sachver-
ständiger Leute nichts wissen; infolgedessen fielen
sie in die Hände der bedenklichsten Händler
und Vermittler. Als der Herr dann von einigen
eigenen Erwerbungen erzählte und gar eines
seiner Bilder zeigte, das er für ein capo d'opera
hielt, gab er uns gleich ein lebendiges Beispiel
für diese modernen amerikanischeil Sammler,
wie er sie eben selbst so scharf gekennzeichnet
hatte.

UNSTGEWERBE. Ein Waren-

haus, das in einigen Provinzen
seines Riesengeländes demMassen-
geschmack dient, will ihnin einigen
anderen führen und erziehen.
Zwölf Künstlern der Innendekora-
tion von Namen und Ruf hat die Firma Wertheim
Interieuraufträge gegeben. Und dass die Konstitu-
tion dieses Geschmackreviers gründlich würde,
setzte sie gewissermassen als Deputierten der
Schönheit und als Konsul den feinfühligen Curt
Stoeving ein. Caveat Konsul ... er gehört wohl
mehr in das stille Studio, als auf den Markt. Sym-
ptomatisch betrachtet scheint mir nun dies Ereignis
von allergrösster Wichtigkeit. Es spricht am stärk-
sten die neue Tendenz aus, dass die Grossindustrie

mit der dekorativen Kunst zusammengehen will.
(Ob das freilich aus ernster Überzeugung geschieht
oder vielleicht anfangs nur des ArFektionswertes
der Künstlersignatur, also einer Art verfeinerter
Reklame wegen, möchte ich unentschieden lassen.)
Was aber auch derGrund sein möge, die Allianz des
Kaufmanns mit dem Künstler bildet sich jedenfalls.
Es ist nur schade, dass bei diesem letzten, in
grossem Stil geschlossenen Bündnis so wenig
fruchtbare Ergebnisse herauskamen. Es ist be-
dauerlich für alle Teile. Bedauerlich für die Auf-
traggeber, die für ihre künstlerischen Bestrebungen
wenig Anerkennung ernten werden; bedauerlich
für die Künstler, die sich hier in der Mehrzahl mit
Leistungen mittleren oder gar noch geringeren
Grades vor einem grossen Publikum produzieren;

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