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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

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Schlittgen, Hermann: Erinnerungen an Wilhelm Leibl
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https://doi.org/10.11588/diglit.3547#0141

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München fortgehen und regte sich nicht auf.
Die Aufregung spart man sich für die Zeit,
in der es gilt, Bilder von fragwürdigen Tages-
grössen zu erwerben. Beim Tode Munkaczys
verkaufte die Witwe die „Dachauerinnen",
Leibls wunderbarstes Maler-Werk, das heute
in der berliner Nationalgalerie ist.

Leibls Verbitterung gegenüber München
war ungerecht. Wir haben ihn doch immer
anerkannt.

Siehe oben.

Wenn man heute Gelegenheit hätte, in der
Neuen Pinakothek nach der Durchwanderung
der öden Säle, in denen die gute Kunst aus der
neuesten Zeit so dünn gesät ist, in einem
„Leiblzimmer" mit den genannten Meister-
werken auszuruhen, welche Wo hl that wäre das!

In den späteren Werken Leibls spürt man
deutlich eine gewisse Schwächlichkeit und
Zaghaftigkeit. Die Kraft Hess nach.

Eine Reise nach den Niederlanden rüttelte
ihn noch einmal auf. Verjüngt kehrte er zu-
rück. „Einen Grossem, als Frans Hals hat es
nie gegeben und wird es nie wieder geben,"
schrieb er mir. Ich fuhr damals ohne ihn
nach Madrid, und ich glaube, er schrieb das,
um sich damit zu trösten.

Als ich im vorigen Sommer wieder einmal
nach Aibling kam, um Freund Sperl in seiner
Vereinsamung zu besuchen, wurde das Atelier
ausgeräumt; die Sachen sollten nach München
zur Versteigerung kommen. Auf dem Fuss-
boden lagen alte Briefe, zerrissene Zeichnungen,
Leinwandreste, vernichtete Studien.

Auf dem Schranke standen zwei Gipsbüsten
eines Kunsthändlers, welcher Leibl in den
letzten Jahren für den Kunsthandel entdeckt
hatte. Die beiden Gipsköpfe sahen scharf und
forschend in das Chaos.

Unten am Boden lag eine heute kostbare
Kunstgeschichte, in Stücke gerissen.

Ich erinnerte mich, wie Leibl sich über eine
Stelle in dem Buche masslos aufgeregt hatte,

in der es von Menzel geheissen hatte, er hätte
nie geliebt.

Eine schöne schwarze Marmortafel haben
die Aiblinger an dem Kaufmann Mayerschen
Hause am Marktplatz angebracht, darauf mit
Goldschrift zu lesen ist, dass in diesem Hause
der berühmte Maler Wilhelm Leibl aus Köln
am Rhein viele Jahre wohnte und 56 Jahre
alt geworden ist.

Grösser wäre die Ehre gewesen, wenn die
Tafel im Rathaus angebracht worden wäre,
denn da gehören die Männer hin, welche sich
um die Stadt ganz besonders verdient gemacht
haben. Die Stadträte haben in ihrer Weis-
heit erwogen und beschlossen, dass dies Leibl
nicht gethan hat.

Deshalb musste er hinaus, ins Freie, auf den
Markt. Es ist auch besser so.

Als die guten Aiblinger nach Leibls Tode
all' die schönen Aufsätze in den Zeitungen
lasen, wurde es ihnen aber doch etwas bange
ums Herz: „Haben wir ihn auch genug zu
schätzen gewusst?" Ja wer hätte denn auch
gedacht, dass er ein so grosser Meister wäre. Er
kam ja so einfach daher, wir liebten ihn und
wussten, darin steckt etwas tüchtiges. Aber dass
er ein so grosser Mann war, wussten wir nicht.
Ueber alle grossen Meister in München drinnen
wird doch so ausgiebig in den Zeitungen be-
richtet. Und bei unserm Leibl haben sie gar
nichts geschrieben. „Herr Professor" ist er ja
geworden, aber erst in späten Jahren. Auch einen
Orden hat er bekommen. Vierter Klasse sogar.

Aber die in München drin, die müssen doch
viel grössere Meister sein. Man braucht sie
nur zu sehen, wie sie daher kommen.

Einfach und still war es bei Leibls Be-
gräbnis. Manche offizielle Stelle, manche
Künstlervereinigung vergass eine kleine Ehrung
für den Meister. Freilich: er war ja nur „ein
guter Handwerker."

Möchten wir alle doch etwas von diesem
guten Handwerk erlernen!

H*
 
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