Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

DOI Artikel:
Chronik
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.3547#0161

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
griffenen Kultur, die mit allen Sinnen darauf aus
ist, vorwärts zu kommen. München, die alte Maler-
stadt, hat ja selbst ihren eigenen Künstlern gegen-
über ein lässigesLaisser-aller bewiesen. Leibl konnte
in München, wo er zwar seinen ersten und grössten
Erfolg errungen hatte, nie recht heimisch werden,
und zog grollend nach Aibling. Trübner wurde
in München niemals die Stellung zuerkannt, auf
die er Anspruch hat, die Stellung eines der selbst-
ständigsten deutschen Talente, und man Hess ihn
ohne Bedauern nach Frankfurt auswandern, und,
um an einen Fall aus jüngster Zeit zu erinnern:
ein so starkes Talent der jüngeren münchener Ge-
neration wie Slevogt gelangte erst durch die Aus-
stellungen der berliner Secession zu allgemeinerer
Anerkennung. Wir möchten fast glauben, dass
man in München gerade den Begabungen von
ausgesprochener Eigenart kühl gegenübersteht.
Wie würde Leibl in Berlin geehrt worden sein
und wie gleichgültig verhielt man sich seiner
Kunst gegenüber in München! Die Münchener
haben so viele Kunst, sie hatten, wenn auch
keinen ganz so hervorragenden Künstler, so doch
ein solches Niveau der Kunst, dass der Abstand
ihrer Hervorbringungen zu denen eines Leibl
nicht so gewaltig war wie der des berliner Niveaus
zu Leibl. Daher der Mangel an Verehrung. Ein
Mangel an Verehrung aus dem Reichtum heraus!
So hatten die Pariser lange Zeit keine guten
Strassenverbindungen, weil sie am frühesten gute
Omnibusse hatten. Berlin ist eine Stadt, die Kunst-
stadt wird und giebt sich darum in jeder Be-
ziehung mehr Mühe — und musste sich mehr Mühe
geben — als die alte Kunststadt München.

Dass den Berlinern die Secessionsausstellungen
gelangen und dass sie den Münchnern weniger ge-
langen, musste nun den Münchnern natürlich un-
angenehm sein. Wie lässig sie auch waren — so
lässig waren sie denn doch nicht.

Wenn von der emporstrebenden Kunststadt
Berlin und dem Niedergang Münchens als Kunst-
stadt gesprochen wurde, so darf man zunächst
nicht die künstlerische Produktion beider Städte
in einen Vergleich stellen. Wir möchten der Frage,

ob die münchener Malerei heute noch so lebens-
kräftig sei wie vor 10 Jahren, an dieser Stelle nicht
näher treten, dennoch müssen wir sagen, dass sich
die münchener Kunst in einem Stadium der Er-
schlaffung zu befinden scheint. Von Inzucht ist
in Bezug auf sie gesprochen worden - verkehrter
Weise, denn wohl jede Stadt, in welcher viele Maler
hausen, mithin viele unselbständige Künstler zu
Hause sind, wird Inzucht treiben. In der alten
holländischen Kunstkultur begegnen wir ebenso-
wohl der „Inzucht" wie wir ihr im heutigen Mün-
chen oder im heutigen Paris begegnen und es ist
für unseren Geschmack gleichgültig, ob von un-
selbständigen Malern in Berlin jetzt Manet imitiert
wird oder ob in München unselbständige Künst-
ler sich an der münchener Schule befruchten. Wir
deuteten aber bereits an, wie spröde man sich in
München selbst den eigengeartetenTalenten gegen-
über verhält, und was Münchens Autorität als
Kunststadt erschüttert hat, was die letzten Aus-
stellungen der münchener Secession schwach
gegenüber den früheren erscheinen Hess, ist der
Mangel an künstlerischer Organisation gewesen,
der Mangel einer Organisation in Bezug auf Fragen
der Kunstpropaganda. Wir müssen zugeben, dass
die Passivität des münchener Publikums solchen
Bemühungen nicht gerade förderlich ist. Und
doch sollte man in München der Ausstellungs-
organisation, den Bemühungen um gute Kunst in
allen Formen eine grössere Aufmerksamkeit zu-
wenden, wenn man das nachlassende Interesse für
die bildende Kunst beleben, auch wenn man der
Auswanderung der Künstler nach Berlin und
anderswohin entgegentreten will. Berlin ist nicht
nur eine Stadt, in der viele Bilder gekauft werden,
es ist eine Stadt geworden, in der man es nicht
an Bemühungen für die Hervorhebung echter
Kunst, mag sie entstanden sein wo sie wolle,
fehlen lässt.

Wir wollen wünschen — im Interesse der Idee
der Eliteausstellungen, die das Ziel beider Seces-
sionen sind — dass die münchener Secession ge-
meinsam mit der berliner wieder ausstellen wird,
sobald diese ihr neues Haus bezogen hat.

MÜNCHEN

In Schxoabing, der Nordvorstadt Münchens,
haben sich die Protestanten eine kleine Kirche
gebaut, die unter den vielen kirchlichen Neu-
bauten unserer Stadt vielleicht die schlichteste,
wohl aber auch die charaktervollste und trau-
lichste ist. Theodor F i s c h e r, der die Kirche noch
vor seinem viel beklagten Weggang nach Stutt-
gart vollendete, hat ihr ein an unsre alten
romanischen Dorfkirchen erinnerndes Gepräge
gegeben, aber nicht in strenger Anlehnung an

ein bestimmtes Vorbild oder durch Kombinationen
aus mehreren bestimmten, sondern, wie dies seine
Artist, in freiem Weiterschaffen und Umgestalten.
So sind namentlich im Innern manche Details -
die Durchbildung der Emporen-Pfeiler, der orna-
mentale, ganz aus der Steintechnik heraus-
entwickelte Schmuck der Kapitale — voll schöner
und fruchtbringender Anregungen. Kräftige, aber
diskrete Färbung der Machen Holzdecke und der
anderen Holzteile erhöht die Intimität und Ruhe

1)2
 
Annotationen