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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

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Pauli, Gustav: Photographie und Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.3547#0175

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Kupferstich oder Holzschnitt wird ja auch Künstler stellen. Die Beispiele dafür bieten

fernerhin noch ihre Liebhaber finden und eine sich uns fast täglich, auf Ausstellungen, in

gewisse Kategorie von Objekten, solche, bei Fachzeitschriften. Es sei mir erlaubt, nur eines

denen die Konstruktion und technische Be- herauszugreifen, weil es einen unserer besten

schaffenheit die Hauptsache ist, wird ohne- Amateurphotographen betrifft, Herrn Alfred

dies immer der Abbildung durch Menschen- Enke. Nachdem Enke schon früher einmal

hand aufgehoben bleiben. eine Sammlung seiner Aufnahmen verüffent-

Es hat nicht gar lange gedauert, bis der licht hatte, liess er kürzlich wieder unter dem
Künstler in dem anfänglich so geringschätzig Titel „Neue Lichtbildstudien" eine stattliche
betrachteten Photographen einen nützlichen Mappe erscheinen. Lichtbildstudien — der
Gehilfen und Freund entdeckte, der ihm ge- Titel klingt bescheiden, aber schon das Vor-
legentlich eine unbequeme Studienarbeit er- wort enthüllt uns die Ansprüche des Heraus-
sparte. Ich denke hier nicht sowohl an jene gebers. Essoll freilich auch bescheiden klingen,
euphemistisch als „Künstlerstudien" betitelten aber zu uns redet die stolze Bescheidenheit
Nuditäten, die ihr Publikum wohl meist ausser- des Dilettanten, der zu verstehen giebt, dass
halb der Künstlerkreise finden, als an die er von Rechts wegen ein Künstler sei. Und
massenhaften vortrefflichen Photographien von wendet man nun Blatt um Blatt der Studien,
Tieren, Pflanzen, Bäumen, Wolken und Wellen so entdeckt man, dass sie allesamt als Bilder,
oder an die Momentphotographien bewegter also gerade nicht als Studien gelten wollen.
Menschen und Tiere, wie sie zuerst Anschütz Bei manchen weisen schon die Unterschriften
und Muybridge geliefert haben. Solche Auf- daraufhin. Der Kopf eines jungen Mädchens,
nahmen haben gewiss schon manchem Künstler der hinter dem Ausschnitt eines Pappkartons
genützt, vielleicht auch manchem geschadet, erscheint, heisst „das Märchen". Ein braunes
denn freilich — zum kopieren sind sie nicht da. Modellmädel, das mit grossen Messingarm-
Die Photographie kann die Erinnerung beleben, bändern, entsprechenden Ohrringen und Münz-
die Phantasie anregen, aber zum abmalen hat gehangen im Haar nicht eben sehr geschmack-
der Künstler nun einmal die Natur selbst, voll aufgeputzt ist, trägt den stolzen Titel
Mag nun der Photograph dem Künstler im „Die Gebieterin". Auf einem dritten Blatte
ganzen genommen mehr genützt oder mehr sitzt eine grauhaarige alte Bauernfrau, welche
geschadet haben — jedenfalls sind die Be- die Hände in den Schoss legt. Darunter steht
Ziehungen zwischen beiden intime und dauernde nicht etwa „alte Bäuerin", sondern „das
geworden. Photographierende Maler giebt es Alter!" . . . Wer ruft das Einzelne zur all-
gewiss mindestens so viele wie malende Photo- gemeinen Weihe? Ist es wirklich der photo-
graphen und namentlich bei unsern Porträtisten graphierende Dilettant? Wenn Alfred Enke
kann man es oft nur schwer entscheiden, wo eine alte Bäuerin photographiert, so bleibt sie
der Photograph aufhört und der Künstler an- eben auf der Platte und auf dem Positivabzug
fängt. Aus der Praxis berühmter Meister liessen immer noch nichts weiter als eine alte Bäurin.
sich Dinge ausplaudern, die doch vielleicht Wenn dagegen der Graf Kalckreuth eine greise
ihre Auftraggeber in Erstaunen setzen würden. Tagelöhnerin seines schlesischen Gutes zum
Doch wir wollen nicht indiskret sein. Modell für ein Gemälde benutzt, so hat er

Nun scheint neuerdings einigen unserer freilich das Recht, seinem vollendeten Werke

Amateurphotographen die angedeutete Intimi- einen symbolischen Namen beizulegen, indem

tat mit der Künstlerschaft ein wenig zu Kopfe er es „Das Alter" nennt,
gestiegen zu sein. Sie wollen sich nicht mehr Nun fürchte ich fast, die sämtlichen Photo-

mit der bescheideneren Rolle eines geschmack- graphen unter meinen Freunden und Lesern

vollen, gebildeten Dilettanten oder eines ge- erzürnt zu haben. Sie alle sind stolz darauf,

heimen Mitarbeiters begnügen, sie möchten dass sie die Photographie von dem öden Ge-

sich am liebsten als Ebenbürtige neben die schäftsbetrieb mit charakterlosem Atelierlicht,

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