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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

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Zola, Emile: Manet
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https://doi.org/10.11588/diglit.3547#0220

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ein Wunder von Modellierung und besänf-
tigter Kraft. Hätte der Künstler immer der-
artige Köpfe zu malen unternommen, so würde
er vom Publikum gehätschelt, mit Lob und
Geld überschüttet worden sein. Freilich wäre
er ein Reflex geblieben, und nie würden wir
die schöne Einfachheit kennen gelernt haben,
die sein ganzes Talent bildet. Für mich, ich ge-
stehe es, ist das Sympathische in seinen Werken
anderswo als in diesen Stücken; ich ziehe die
freimütigen Schärfen, die richtigen und mäch-
tigen Flecke der „Olympia" den gesuchten
und engen Feinheiten des „Kindes mit dem
Degen" vor.

Aber von jetzt an habe ich nur noch von
solchen Bildern zu sprechen, die mir das Fleisch
und Blut Edouards Manets zu sein scheinen.
Zu Anfang kommen die Bilder, die im Jahr
1863 bei Martinet auf dem Boulevard des
Italiens einen wirklichen Auflauf verursachten.
Pfeifen und Hohngelächter kündigten, wie
es Brauch ist, an, dass ein neuer originaler
Künstler sich offenbart habe. Die Zahl der
damals ausgestellten Bilder war vierzehn.
Acht von ihnen werden wir in der Welt-
ausstellung wiederfinden: den„altenMusiker",
den „Leser", die „Gitanos", einen „Strassen-
jungen", „Lola de Valence", die „Strassen-
sängerin", das „spanische Ballet" und die
»Musik in den Tuilerien".

Die vier ersten der Reihe citiere ich nur.
«Lola de Valence" ist durch den Vierzeiler
von Charles Baudelaire berühmt, der ebenso
ausgezischt und übel behandelt wurde wie
das Gemälde selbst:

Entrc tant de bcautes que partout on peut voir
Je comprends bien, amis, que le desir balance,
Mais on voit scintiller dans Lola de Valence
Le charinc inattendu d'un bijou rose et noir.

Ich beabsichtige nicht, zur Verteidigung
dieser Verse beizutragen und sage nur, dass
sie für mich das Verdienst haben, ein gereimtes
Urteil über die ganze Persönlichkeit des
Künstlers zu geben. Ich weiss nicht, ob ich

übertreibe. Es ist vollkommen wahr, dass
„Lola de Valence" ein „bijou rose et noir"
ist. Der Künstler geht bereits nur durch Flecke
vor und seine Spanierin ist breit, mit leb-
haften Gegensätzen gemalt; die ganze Lein-
wand von zwei Tinten bedeckt.

Das Bild, das ich unter den aufgeführten
aber vorziehe, ist die „Strassensängerin". Eine
junge, auf den Höhen des Pantheon wohl-
bekannte Person tritt aus einer Schenke heraus,
während sie Kirschen isst, die sie aus einer
Düte nimmt. Das ganze Werk ist von einem
sanften blonden Grau. Die Natur scheint
mir in diesem Bild mit der äussersten Ein-
fachheit und Genauigkeit zergliedert zu sein.
Ein derartiges Bild hat, von seinem Gegen-
stande unabhängig, eine Erhabenheit, welche
den Rahmen erweitert; man fühlt darin die
Erforschung der Wahrheit, die gewissenhafte
Arbeit, die ein Mann leistet, der vor allem
freimütig sagen will, was er sieht.

Die beiden andern Bilder, das „spanische
Ballet" und die „Musik in den Tuilerien"
waren es, bei denen damals das Pulver explo-
dierte. Ein aufgeregter Amateur ging so weit,
zu drohen, dass er handgreiflich werden
würde, wenn man die „Musik in den Tuile-
rien" länger in dem Ausstellungssaal hängen
liesse. Ich begreife den Zorn dieses Lieb-
habers; denkt euch unter den Bäumen des
Tuileriengartens eine ganze Menge — hundert
Personen vielleicht, die sich in der Sonne be-
wegen. Jede Person nur als einfachen Flecken,
kaum bestimmt, und die Details zu Linien
und schwarzen Punkten geworden. Wäre ich
dagewesen, so hätte ich den Liebhaber ge-
beten, sich in eine achtungsvolle Entfernung
zu begeben. Dann hätte er gesehen, dass diese
Flecke lebten, dass diese Menge sprach, und
dass dieses Bild eins der bezeichnendsten des
Künstlers sei, eines von denen, bei denen
er am meisten seinen Augen und seinem Tem-
peramente gefolgt ist.

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