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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

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Sickert, Oswald: Anderthalb Jahrhunderte englischer Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.3547#0275

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eine Statue von Alfred Stevens, einem eng-
lischen aussergewöhnlich talentierten Bild-
hauer, betraf, und die nach der Bestimmung
der englischen Regierung im Herzen Londons,
in Wrens unvergleichlicher Kathedrale stehen
sollte. Und dabei wetteifern gerade jene
Hauptmittelpunkte der Industrie, in denen die
realen Ziele der englischen Existenz am klarsten
erfasst werden, nämlich Manchester, Glasgow,
Liverpool, Birmingham, Sheffield und Leeds
mit einander in der Gründung städtischer
Kunstsammlungen. Wolverhampton, im
Kohlendistrikt, folgt ihrem Beispiel, als ob
es die hochsinnige Devise praktisch beweisen
wollte, die es auf seinem Schilde trägt: „Durch
Nacht zum Licht". Wahrlich Licht; aber wer
sieht es und wie sieht man es? Wie Wenige
kommen, um zu sehen, welch geringer Bruch-
teil, und wer von jenen Wenigen versteht etwas ?
Wie kommt es, dass ein Häuflein Enthusiasten
seinen weithergeholten Geschmack für un-
nötige und teure Stückchen Leinwand einem
Publikum aufdrängt, dessen Gedanken sich
zwischen Hochofen und Fussballspiel bewegen ?
Ich werfe diese Frage auf, um hinzuzufügen,
dass ich nicht imstande bin, sie zu beantworten.
Die englische Malerei bietet ein weiteres
Rätsel für alle die, welche schon deren blosse

ALFRED STEVENS, MRS. COLLMAX

Existenz merkwürdig finden inmitten eines
Volkes, das durch seine Geschmacklosigkeit
und Gleichgültigkeit in Kunstsachen berühmt
ist. Denn gerade die Eigenschaft, welche die
englischen Maler vor allen anderen auszeich-
nete, war ein angeborener Geschmack und
eine tief eingewurzelte Kultur. Diese Vor-
nehmheit, nicht nur in der Form, sondern
auch in der Beobachtungsgabe, — war ihre
ganz besondere Eigenheit und ist von ihrer
Nationalität untrennbar. Dies ist eine all-
bekannte Thatsache, welche die Ausstellung
in Wolverhampton aufs Neue bestätigt. Der
grösste englische Maler besass jene Kultur im
höchsten Grade, ein Porträt von Sir Joshua
Reynolds, stelle es einen Admiral oder eine
Schauspielerin, eine grosse Dame oder einen
Gelehrten dar, ist so vollendet einfach und so
selbstverständlich vornehm, dass es in diesen
Punkten in derMalerei unübertroffen ist. Diese
vornehme Kultur ist nicht einfach mit einem
allgemeinen Schluss auf den Charakter des
XVIII. Jahrhunderts zu erklären. Die Werke
von französischen und englischen Malern des
XVIII. Jahrhunderts bildeten das Material Rh-
eine Ausstellung, die die Korporation von
London in diesem Sommer in der Guildhall
veranstaltete, und bei dem Hinübergehen von
den französischen zu den englischen Sälen
erstieg man viele Sprossen auf der Leiter der
Civilisation. Die Vornehmheit aufReynold's
Bildern ist nicht eine Würde oder Eleganz,
die er von aussenher seinen Modellen auf-
drückt. Trotz aller seiner theoretischen Be-
wunderung für den grossen Stil ist seine Mal-
weise nichts weniger als pathetisch, und ob-
gleich er es niemals an Eleganz fehlen Hess,
ist der grösste Teil seiner Porträts die Schöpf-
ung eines Künstlers, der mit bescheidener
Hingabe an die stets neue Aufgabe ging, eine
Individualität durch das Medium der Oel-
malerei zu zeigen. Diese englische Noblesse
finden wir in den Bildern von Gainsborough,
wir sehen sie in den Malereien von Romney,
und doch nahm keiner von ihnen in der Ge-
sellschaft die Stellung ein, die Reynolds so
leicht ausfüllte. Reynolds selbst bestätigte,
dass die Grazie und Eleganz von Gainsborough,

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