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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

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https://doi.org/10.11588/diglit.3547#0337

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gerade das grossartigste Malerwerk der christlichen
Kunst, der singulare Genter Altar der Brüder
Hubert und Jan van Eyck an den Segnungen der
so ausserordentlich vervollkommneten Photogra-
phie keinen Anteil haben soll! Der Altar besteht
bekanntlich aus 20 Tafeln, die sämtlich, wie durch
ein Wunder, ausgezeichnet erhalten, aber leider
für immer getrennt, an drei weit auseinander
liegenden Orten aufbewahrt werden: in Berlin,
Gent und Brüssel. Es existiert nicht eine einzige
Totalreproduktion dieses Wunderwerkes, die seiner
einigermassen würdig wäre ... In Berlin und in
Brüssel besteht kein Hindernis, im Gegenteil, an
diesen Orten waltet sogar der beste Wille vor,
zur Ermöglichung jener ersehnten Totalaufnahme
die Hand zu bieten. Nur Gent sträubt sich, sträubt
sich durchaus, sträubt sich unerbittlich: non
possumus. In Gent müssten die dort vorhandenen
vier Tafeln aus der kleinen dunklen Kapelle, in
der sie sich befinden, zwecks Photographierung
ins Freie gebracht werden, auch müsste eine
Reinigung der Tafeln, nicht etwa eine Restaurier-
ung, nein eine einfache, selbst den Firnis unange-
tastet lassende Säuberung von Staub und Schmutz
dem Photographieren vorangehen. Die hohe Geist-
lichkeit in Gent schreckt vor diesen „Wagnissen"
zurück . . . Der deutsche Reichstag hat die Mittel
dazu bewilligt, die Malereien der Sixtinischen
Kapelle in Rom in guten Reproduktionen zu
publizieren. Es handelt sich hierbei um viele
Zehntausende von Mark. Wäre es nun nicht eine
schöne Aufmerksamkeit, wenn man in Rom — wo
italienische, päpstliche Kunst in solcher Weise vcn
Nordländern geehrt wird - den Entschluss fasste,
den Deutschen eine kleine Gegenerkenntlichkeit
zu erweisen, indem von den massgebenden Per-
sönlichkeiten aus — ich wage es sogar ehrfurchts-
voll Se. Heiligkeit selbst zu nennen - den geist-
lichen Würdenträgern in Gent nahe gelegt würde,
sie möchten den hierzu Berufenen die Erlaubnis
zum Photographieren des grossartigsten Werkes
germanischer, religiöser Malerei gewähren?"

In der Deutschen Kunst und Dekoration ist das
Aprilheft dem bekannten kunstgewerblichen Zeich-
ner Georges de Feure gewidmet, einem geborenen
Holländer trotz des französisierten Namens.
Das Heft enthält ausserordentlich viele Reproduk-
tionen nach solchen Arbeiten, die der Künstler in
der Zeit geschaffen hat,- die er der kunstgewerb-
lichen Thätigkeit nicht widmete. Wir sehen zahl-
reiche Aquarelle mit seinen weiblichen Figuren
abgebildet, die hart und arm in der Erfindung
wirken, Szenen mit Jockeys, die amüsant in der
Erfindung sein mögen, aber jedenfalls arm in der
Ausführung bei einer glorreiches Colorit suchen-
den Farben wähl sind; Studien aus dem Wald von

Fontainebleau erscheinen, wie sie jeder Kunst-
schüler zu Dutzenden hervorbringen würde, der
„Windstoss" ist ein schreckliches Gemälde, die
Studien des „weissen Hauses" oder das Bildnis
der Madame de F., die Aquarelle „Versuchung"
und „Porträt von Mademoiselle S." enthalten
traurige Fadheiten —und derselbe Künstler erfreut
durch kunstgewerbliche Zeichnungen, welche von
ebensoviel Erfindungskraft, Leichtigkeit und An-
mut des Schaffens zeugen wie seine Werke der
„hohen Kunst" von Talentlosigkeit. Warum
beschränkt sich dieser Künstler nicht auf seine
Zeichnungen für Möbel, Teller, Tassen, Eiseimer,
Sockel und Vasen, Zuckerdosen, Bonbonnieren,
Porzellanfiguren und Standuhren? Weshalb giebt
er jene Werke, die er der reinen Kunst gewidmet,
zum Besten? Er ist von dem Wahne befallen, er
wäre ein Universalkünstler, während er, wie viele
unserer kunstgewerblichen, aus dem Malerstande
hervorgegangenen Künstler nur an dem Platze
steht, den seine lediglich kunstgewerbliche Be-
gabung ihm geschaffen hat.

In seiner Manetstudie hat H. v. Tschudi mit
ahnungsvollem Grauen die Zeit kommen sehen,
in der auch das Plein Air akademisch, mithin
erreichbar für jedermann, mithin ein schreckliches
Ding werden würde. Und schon lesen wir in
einem Berichte aus Paris: „In der staatlichen Na-
tionalschule für dekorative Kunst ist seit kurzem
der Zeichenunterricht nach sich bewegenden Mo-
dellen eingeführt. Diese gehen vor den Schülern
einher, laufen, springen u. s. w., kurz, führen die
verschiedensten Spiele, Wettkämpfe, Festzüge und
ähnliche Szenen auf, die dann von den Zöglingen
zu skizzieren und in einer Frist von sechs Tagen
zu zeichnen oder zu modellieren sind. Nach den
Erklärungen eines Professors der Schule, des Bild-
hauers Lemaire, bezweckt die Neuerung, den
Kunstwerken natürlicheres Leben als bisher zu
geben. Nach dem Programm der Schule wird der
Unterricht die eine Hälfte des Monats nach dem
ruhigen, die andere Hälfte nach dem beweglichen
Modell erteilt. .." Wir werden auf der Seite
des Nachwuchses bald die absurdesten „Auch-
Impressionisten" kennen lernen.

Eine neue Kunstzeitschrift ist begründet wor-
den: the Burlington. Sie wird sich hauptsächlich
mit alter Kunst, auch altem Kunstgewerbe be-
schäftigen.

//; ihrer nächsten Nummer wird die Zeitschrift
Nachbildungen und Arbeiten folgender Künstler in der
Secession bringen: P. Baum, J. E. Blanche, H. Brück,
L. Corinth, J. Fora in, V. van Gogh, E. Hancke,
W. Leibl, W. Leistikoxv, H. Linde-Walther, K. v. Kar-
dorff, C. Somojf.

DER UNGEKÜRZTE ABDRUCK DER AUFSÄTZE IST VERBOTEN. ABDRUCK IN GEKÜRZTER FORM IST NUR UNTER VOLLST. QUELLENANGABE GESTATTET

REDAKTION: BERLIN W DERFFLINGERSTRASSE 16
VERANTWORTLICH FÜR DIE REDAKTION: BRUNO CASS1RER, BERLIN. DRUCK DER OFFIZIN W. DRUGUL1N, LEIPZIG
 
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