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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

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Hannover, Emil: Die Seele Giorgiones
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https://doi.org/10.11588/diglit.3547#0351

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werk geformt hatte. Die Stadt selbst war ja Persönlichkeit, als dass seine Kunst nur eklek-
ein Kunstwerk und das Leben auf ihrem tisch werden konnte; er verwandte eine un-
Hintergrunde ein ununterbrochenes Fest für geheure persönliche Arbeit auf sie, und jedes
das Auge. Dem vorherrschend Orientalischen seiner Bilder erhielt das Gepräge des bonta
in dem Aeusseren dieser Stadt entsprach bei e diligenza, seiner besten menschlichen Eigen-
ihren Bewohnern, namentlich nachdem ihre schaffen. Doch er kam keineswegs — auch
merkantile Macht gebrochen war, ein orien- nicht nachdem Giorgione ihn in seinem hohen
talischer Hang zum Müssiggang, ein Hang, die Alter gelehrt hatte, was die Malkunst eigent-
Gedanken ruhen und die Phantasie schweben lieh sei — soweit, sich auszumalen, sich den
zu lassen — am liebsten auf den Tönen der Farben ganz zu überlassen und sie als Stirn-
Musik, die hier mit dem Genüsse des Lebens mungsausdruck für sein Temperament zu ge-
unlöslich verbunden war. E vera cosa, sagt brauchen.

Sansovino von Venedig, che la musica ha la In ein paar kleinen Bildern in den Uffizien

sua properia sede in questa cittä. „Moses'Fund"und„dieFeuerprobecc(pag.349)

Es sind uns zahlreiche Bilder aus dem Leben zeigt sich der junge Giorgione noch als so
Venedigs im Zeitalter der Renaissance erhalten stark unter Giovanni Bellinis Einfluss stehend,
geblieben. Dächte man sie sich alle wieder- dass der spätere Giorgione wohl eigentlich nur
gegeben und in einem Buche vereinigt, so an den eigentümlichen Silhouettenwirkungen
würde uns ein Durchblättern dieses Buches der Bäume in den landschaftlichen Hinter-
und namentlich ein Verweilen bei Gentile gründen kenntlich ist. Aber schon in einer
Bellinis und Carpaccios Schilderungen eine etwas späteren Jugendarbeit, der schönen Altar-
volle Vorstellung davon geben, wie sich das tafel in Castelfranco, Maria mit dem Kinde
Leben in Venedig zur Zeit des Uebergangs auf einem Throne sitzend, der von S. Liberale
vom 15. zum 16. Jahrhundert nach aussen und S.Francesco behütet wird, liegt über
hin entfaltete. Trotz der objektiv referierenden der noch ganz Bellinischen Komposition ein
Wiedergabe in diesen Bildern verraten die Farbenschein von einer ganz anderen Per-
Künstler natürlich — da die Objektivität ja sönlichkeit, von einer, die man ausschliesslich
stets etwas von einer Fiktion in der Kunst aus Giorgiones späteren Bildern kennt, aus-
ist — durch ihre Auffassung des Geschilderten gebreitet.

auch etwas von ihrer Persönlichkeit. Aber Vasari erzählt, Giorgione hätte einmal einige

Giorgione ist der Erste, der die Motive seiner Arbeiten Lionardos gesehen und sich sein

Kunst sowohl von der Kirchlichkeit wie von ganzes übriges Leben hindurch von ihnen be-

der Wirklichkeit befreit und sie von innen einflussen lassen. Man hat die Möglichkeit

nach aussen geformt hat, als ausschliesslichen bestritten, dass irgend eine Arbeit Lionardos

Ausdruck des eigenen Ichs. Giorgione vor Augen gekommen sein kann.

Als er geboren wurde, existierte noch keine Aber diese Möglichkeit ist beinahe eine Wahr-
venetianische Malkunst in der ausgeprägt ko- scheinlichkeit, denn es steht fest, dass Lionardo
loristischen Bedeutung des Wortes. Giovanni die ersten Monate des Jahres 1 500 in Venedig
Bellini, sein Lehrer, brachte sein rastloses Leben zubrachte, und der Abstand zwischen dieser
mit dem Versuch zu, den primitiven noch Stadt und Milano ist ja ausserdem nicht so
halbwegs byzantinischen Stil der Murano- gross, dass Giorgione nicht möglicherweise
Schule mit dem antikisierenden Stil der Padu- die kleine Reise dorthin gemacht haben könnte,
aner Schule (Squarciones und Mantegnas) und wo er bis 1499 Lionardo persönlich an-
dern mehr realistisch-malerischen Stil, den getroffen und wo er nach dieser Zeit nicht
Antonello da Messina aus den Niederlanden nur sein berühmtes Fresko in Sa. Maria della
mitgebracht oder vielleicht nur von den nieder- Grazie, sondern auch mehrere seiner Porträts
ländischen Bildern in Italien gelernt hatte, zu gesehen haben kann. Sicher ist es, dass zu-
assimilieren. Bellini war freilich eine zu tiefe weilen bei Giorgione ein Sfumato in der Be-

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