Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

DOI Artikel:
Hannover, Emil: Die Seele Giorgiones
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3547#0353

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
den, der aus der Tonart und dem Rhyth- Vasari il fuoco Giorgionesco nennt, des Künst-
mus solcher Lieder hervorgehen kann. Aber lers Temperament, dessen Glut die Züge der
gerade das Musikalische, dasnicht handgreiflich Dargestellten gerade so viel umschmilzt, dass
Stimmungsmässige, das für den Verstand Un- sie ohne eigentliche Einbusse an ihrer Por-
verständliche und nur vom Gefühl Fassliche trätähnlichkeit, das Gepräge erhalten, min-
macht — im Verein mit der Entdeckung von destens ebensosehr in Giorgiones Phantasiewelt
der Fähigkeit der Farbe, dies auszudrücken — als in der schönen Stadt Venedig zu Hause
das Neue und das Bahnbrechende in Giorgiones zu sein.

Kunst aus. Es heisst, die Dinge allzu elementar Aber wieviel lyrische Schwärmerei auch
und nicht einmal richtig anfassen, wenn man, in diesen Porträts enthalten ist, so steckten
wie es gewöhnlich der Fall ist, sagt, Gior- hier doch die Anforderungen der Porträt-
gione habe die Genremalerei erfunden. Seine ähnlichkeit dem Einsatz an Persönlichkeit
Erfindung ist eine grössere und unendlich seitens des Künstlers natürliche Grenzen. Wie
weiterreichende. Er hat die rein lyrische Mal- sehr diese auch in den Porträts hervortritt, so
kunst erfunden, die Malkunst, in der es keine tritt sie doch viel mehr in einem Bilde wie
Handlung, kein Drama, keine Allegorie, keine „Der Schafhirt" in Hampton Court (pag.3 45),
Philosophie, sondern ausschliesslich freie Phan- hervor, ja es giebt wohl eigentlich unter
tasie und freie Schwärmerei giebt. Giorgiones Bildern keines, in dem sein Geist
Seine Schwärmerei galt nächst der Musik in einer so einfachen und klaren Offenbarung
schönen Menschen, und Venedigs Reichtum zu Tage tritt wie hier. Wie voll und rund
an solchen machte es ihm möglich, ohne es auch in der Form, wie lebhaft warm es
Schmerz für seinen Schönheitssinn Porträtmaler auch in der Farbe ist, ist es doch von Wesen
zu werden. Von der grossen Reihe von Por- so geistig, dass es den Gedanken an ein ent-
träts — darunter ein Bild von Catalina Cor- sprechendes äusseres Vorbild in der Wirklich-
naro, die Giorgione nach Vasari gemalt haben keit ganz ausschliesst. Sein Titel, den es einzig
soll —, sind leider nur wenige übrig; aber der Hirtenflöte verdankt, ist selbstverständlich
selbst wenn keine anderen existierten als das ganz willkürlich. Es ist in diesem Bilde ebenso-
herrliche, wenn auch etwas frauenhafte wenig wie in dem „Konzert" im Louvre etwas
Männerporträt in Berlin (pag. 343), die junge von dem Pastoralen im gewöhnlichen Sinne
Frau in der Borghese-Sammlung in Rom des Wortes, das man bei Giorgione zu finden
sowie der Malteserritter in den Uffizien, so behauptet hat, und zu dem man — mit allzu
würden uns diese allein begreiflich machen, gutem Willen — sogar in der gleichzeitigen
was Giorgione auch als Porträtmaler für die italienischen Hirtendichtung (Sannazaros „Ar-
Entwickelung der venetianischen Malkunst cadia" 1 502) etwas Analoges gefunden haben
bedeutet. Das Neue in diesen Bildern, die um will. „Der Schafhirt" ist nur ein Stimmungs-
das Jahr 1500 gemalt sind, ist das Clair-Obscur gemälde, mit menschlichen statt mit landschaft-
sowohl im malerischen wie im geistigen Sinne, liehen Formen und Farben hervorgebracht,
in dem sie gehalten sind, und dessen voll- und die wehmütige Stimmung, die auf dem
kommenen Gegensatz die nüchternen, scharf- seelenvoll schönen Antlitz dieser Gestalt zu
gezeichneten und linienmässigen Profilporträts lesen ist, bildet die Grundstimmung in Gior-
des 15. Jahrhunderts bilden, in denen der giones gesamter Kunst.
Charakter ein so festes und geschnittenes Ge- Sad ivith the ivho/e of pleasure,
präge hat, wie es die aus derselben Zeit stam- so hat Rossetti in einem Sonett zur Verherr-
menden Porträtmedaillen zeigen. In Giorgi- lichung von Giorgiones „Konzert" im Louvre
ones Porträt entspricht die Anwendung des den Inhalt dieses Bildes (pag. 346) resümiert,
dunklen, malerischen Clair-Obscur einer dessen Stimmung wehmütig ist trotz der
dunklen Durchsichtigkeit in der Charakteri- schönen Frauen, der guten Musik und des
stik. Was man unter dieser ahnt, ist, was herrlichen Abends in der Natur. Die Situation,

344
 
Annotationen